Festival der leisen Gesten

1. - 21. August 2022 auf dem Finowkanal
Eintritt frei

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Newsletter next 7/2022
Anfang August 2022

Das Festival der leisen Gesten ist auch 2022 wieder auf dem Finowkanal unterwegs. In unserem aktuellen Videonewsletter stellen wir das Unterfangen kurz vor. U.a. sind wir im Gespräch mit Initiator Georg Traber.

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Logbuch des Reisenden Julian Bellini

Der Mann mit der Nelkenzigarette
 
Fotos: Torsten Stapel 
 
Als ich endlich ins Wasser steige, ist es fast ein Gefühl der Erleichterung. Es war nicht so heiß heute, es war keine körperliche Erleichterung, es war die Erleichterung, dass der Fluss noch derselbe ist. Natürlich ist Heraklit auch in Finow gewesen und hat auch hier eingeführt, dass man nicht in zweimal in den gleichen Fluss steigen kann. Aber wiedertreffen kann man ihn, wie einen teuren Freund, und der Fluss weiß auch, dass ich nicht derselbe bin wie letztes Jahr.
 
Der alte Mann mit der Nelkenzigarette kichert, als ich ihm das erkläre, bis zur Hüfte im Wasser, mit den Füssen nach Balance auf einem rauen Stein suchend. Natürlich ist er nicht wirklich da, ich stelle ihn mir vor, auf einem Klapphocker auf dem Steg, das Hemd mit den hochgerollten Ärmeln, die grauen Haare kurz geschnitten, die Augen zusammengekniffen, vielleicht beißt ihn der Rauch seiner Zigarette, und eben dieser Geruch. Süß riecht das, und wie etwas Altbekanntes, dem man aber nur selten begegnet. Er sieht mir zu, wie ich mit Seife meine schwarzverkrusteten Hände und Unterarme wasche. Natürlich bemerkt er, dass die Seife wieder an derselben Stelle liegt wie letztes Jahr. Was ist das jetzt, fragt er, Logik, weil das wirklich von allen Plätzen an die man ein Stück Seife legen könnte, der Beste ist, oder einfach sentimentaler Quatsch, die Seife liegt da, weil sie da letztes Jahr lag. Ich versuche eine Antwort, ich habe die Seife da gar nicht hingelegt, nicht heute und nicht letztes Jahr, aber er hört mir gar nicht wirklich zu. Er schaut den Mond an. Eine feine Sichel, so fein, dass nur noch ein winziges Stück übrig ist, wie ein kleines Küchenmesser, unzählige Male geschliffen und bald braucht man ein Neues, weil von der alten Klinge nicht mehr viel übrig ist. Ich schaue in die Richtung und staune über den orangenen Abendhimmel, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich will nicht schon wieder irgendeinen sentimentalen Quatsch sagen.

Er ist schon den ganzen Tag da. Er weiß, wie wir letztes Jahr unsere Boote zusammengeschraubt haben, um sie in diesen Fluss zu rollen, und er sieht, dass wir seitdem ein bisschen gelernt haben. Er nickt fast unmerklich, wenn er sieht, dass es diesmal doch schon ein bisschen besser geht. Er sieht alles was wir seitdem ausgebessert haben, welche provisorischen Lösungen wir einfach beibehalten haben und welche neuen Gerätschaften wir stolz auspacken. Auch Georg und ich können uns neue Sachen zeigen, Prototypen, in unseren trockenen Werkstätten gebastelt, wo die Vorstellung vom Fluss so abstrakt ist das man ein bisschen nervös wird, wenn man sie ins Wasser lässt. Absurd scheint es mir manchmal, wochenlange Bastelei, im verschneiten Winter oder in der brütenden Sonne, aber immer in den flussfernen Bergen, als Maßstab für die Tauglichkeit meiner Konstruktionen muss ich fast selber mein Logbuch vom letzten Jahr lesen, so fern scheint selbst die Idee einer Kanalreise. Eine unmögliche Wette scheint es zu hoffen, dass die dort gefundenen Lösungen hier tatsächlich funktionieren sollen. Gleichzeitig fühle ich eine ganz ruhige Vorfreude, eine entspannte Gespanntheit, ein Vertrauen, dass vor uns eine kleine Reise liegt die wir meistern und bestenfalls sogar genießen können.
 
Anne ist zu uns gestoßen und lernt unsere Boote und unsere Holzöfen kennen. Sie lacht über die Unmöglichkeit ihre Taschen für eine Reise zu packen von der sie nichts kennt außer ein paar Fotos und ein paar Zeilen. Sie hat recht denke ich, und Georg und ich wissen auch nicht viel mehr…
Weniger müde seht ihr aus sagt er, und wirft seine Zigarettenkippe weg. Wie? weniger als letztes Jahr? frage ich, und suche in meiner Erinnerung wie müde ich wohl vor einem Jahr war. Nee, weniger als gestern, sagt er, und er hat recht. Er bleibt nicht, als wir uns zum Abendessen setzen, überhaupt ist nicht viel los am Abend hier am Wasser, er hebt nur die Augenbrauen zum Gruß, und seine Stirn kräuselt sich wie das Licht das, vom Hafenbecken reflektiert, über die Zeltdächer unserer Boote streicht. Schön sieht das aus, und zart, und die feinen Lichtstreifen steigen nach oben, keine Ahnung wieso das so ist und nicht anders. Bestimmt ein gutes Zeichen, sage ich zu Heraklit, aber der nimmt mich nicht ernst undschaut dem stillen Fluss beim Fließen zu.

Der Junge mit dem Eisstiel im Mund

Fotos: Torsten Stapel

Zeit genommen, mit Moe eine Runde Boot gefahren. Ich erinnere mich ans Kennenlernen
des ungewohnten Fahrgefühls, der mir neuen Steuerung, der Koordination des Antriebs und
der vielen kleinen Handgriffe. Wir streifen die Seerosen beim Wenden, wir fahren im
Zickzack, vorwärts und rückwärts, macht nichts, kein anderes Boot weit und breit zu sehen,
niemandem dem wir in die Quere kommen könnten. Bevor wir wieder anlegen noch ein
kleiner Abstecher zu den großen Brombeersträuchern am Wasser. Die zusätzliche Sonne
die sie zugespiegelt bekommen, haben viele Früchte reifen lassen und wir stehen kippelnd
auf dem Boot und auf den Kisten um an die höheren Äste zu kommen, halten uns mit dem
Bootshaken an den Ranken fest und sammeln Hände voller Beeren die wohl nicht oft gepflückt werden.

Nochmal Zeit genommen, spazieren gegangen, alten Backsteinen beim älter werden zugesehen. Kleine Innenhöfe mit Holztoren und schiefen Dachschindeln, weicher Kies unter meinen Fahrradreifen. Eine Stadtlandschaft wie Burgen aus meinen Kinderfantasien. Das große Lächeln auf meinem Gesicht wird fast schon offensiv. Ich glaube ich genieße den Tag so sehr, dass ich damit die Frau erschreckt habe die mir gerade entgegen gekommen ist. Ein Mann legt den Kopf auf sein Fensterbrett, er hat extra ein Kissen untergelegt. Der warme Tag lässt die Sonne auf seinen Kopf rieseln. Er hebt nur kurz den Blick als ich vorbeizische.

Mit Schwung komme ich zurück auf den Treidelweg und schieße übers Ziel hinaus, an meinen Kollegen vorbei, das gespiegelte Auge der Teufelsbrücke zwinkert mir zu und schickt mich weiter. Auf dem Fluss paddeln junge Frauen in mehreren Kanus und lachen sich zu. Ich überhole sie und flitze an den Gärten vorbei, ein Mann streicht sein Tor, eine
Frau schiebt den Motormäher über den Rasen, unzählige Sonnenblumen versuchen ihre
schweren Köpfe abzustützen und ich möchte ihnen das Kissen unterschieben das dem
Mann vorhin so gute Dienste geleistet hat.

Der Junge mit dem Eisstiel im Mund sitzt auch auf einem Fahrrad. Er hat seinen Fuß auf einer Bank abgestützt und schaut konzentriert aufs Wasser. Ich halte an, wahre ein bisschen Abstand, seine Spannung macht mich neugierig, so konzentriert und gespannt wie er auf seinem Fahrrad sitzt. Die Kanus mit den gut gelaunten Besatzungen kommen um die Flussbiegung und der Junge setzt sein Fahrrad in Bewegung. Betreten verboten steht auf dem Steg der an dieser Stelle ins Wasser ragt. Er betritt ihn auch nicht. Er fährt Vollgas darauf zu und darüber, bremst nicht ab, schießt über die wenigen alten Bretter und dann über die Spitzen des Schilfgrases, kurz sehe ich sein Spiegelbild im Wasser, das noch ganz still daliegt. Dann zersplittert die glatte Oberfläche und ohne eine Miene zu verziehen tauchen Fahrrad und Junge ein und unter. Die Kanus haben noch gar keine Zeit gehabt anzuhalten oder irgendeine Reaktion zu zeigen. Der Junge steigt neben dem Steg aus dem Wasser und zieht sein, zugegeben, leichtes Fahrrad hinter sich her. Der Eisstiel steckt immer noch in seinem Mund, heimlich grinst er jetzt, kichert vielleicht sogar. Klatschnass schwingt er sich auf sein Rad und fährt gemächlich und ein bisschen schaukelnd an mir vorbei. Der kurze Blick den er mir zuwirft blitzt ein bisschen verschworen. Seine Tropfenspur begleitet mich zurück an unseren kleinen Zeltbooten, die unter den großen Erlen ruhig im Wasser liegen. Er hat hier wohl noch kurz angehalten, vielleicht um Anne, Moe und Ursl zuzuhören, die auf ihren Instrumenten leise improvisieren. Georg ist in Gespräche mit Leuten verwickelt, die auf dem Treidelweg vorbeikommen und Zeit haben um ein wenig neugierig auf uns und unser Projekt zu werden. Zeit genommen um wieder hier zu sein, Zeit genommen um Zeit hier zu verbringen. Zeit bekommen. Hier. Jetzt.

Die Frau mit den Wäscheklammern am Badeanzug

Fotos: Torsten Stapel 

Ich halte Bootswache. Die Kollegen sind im Brandenburgischen Viertel auf dem
Wochenmarkt. Ola und Mauricio, die noch zu uns gestoßen sind und unsere kleine Truppe
vollzählig machen, sind mit den Fahrrädern unterwegs, um ein bisschen die Gegend zu
erkunden und dann die Helle Stunde auf dem Markt zu erleben.

Der Schleusenwärter kommt extra vorbei um zu sehen ob alles in Ordnung ist, ob und wann wir die malerische Schleuse zum Runterfahren nutzen wollen und um kurz über die Arbeiten an der Hebebrücke zu reden. Ich bin dankbar, dass er mir erlaubt mit unserer kleinen Flotte einen Morgen lang den Anleger der Schleuse zu nutzen. Jetzt und ganz alleine wäre es sehr aufwändig und schwierig gewesen den ganzen Haufen Boote zu bewegen. Ich fühle mich schon mit dem Haufen Geschirr und Frühstücksvorräten der noch beim Anleger liegt
überfordert…

Es ist noch nicht elf Uhr aber schon sehr heiß und ich nutze einen kleinen Fleck Schatten um ein paar Übungen zu machen. Wieder Sonnenblumen, in den kleinen Gärten, aber auch am Weg und am Wasser, gut gepflegt und gegossen leisten sie den Kürbis- und Zucchiniranken Gesellschaft und leuchten in der heißen Luft. Die Frau im Badeanzug ist auf der anderen Seite der Hecke und wir kommen ins Gespräch über die Bienen die unermüdlich über den Zaun hin und herfliegen und jede der großen Blüten sehr sorgfältig nach Nektar absuchen. Während wir reden geht sie unablässig zwischen ihrer schattigen Terrasse und ihrer bunten Wäschespinne hin und her, sie tastet jedes Kleidungsstück ab, im Minutentakt, und entscheidet jedes Mal welches just in dem Moment trocken genug ist, um in einen sauber gestapelten Korb gefaltet zu werden. Jedes Mal, wenn ein neues buntes Hemd, oder eine Hose abgehängt wird, klemmt sie sich die Wäscheklammern an den Ausschnitt ihres Badeanzugs, bald hat sie einen aufwändigen, ägyptisch anmutenden Halsschmuck der zu ihren Schritten leise klappert. Ich spreche es nicht an, aber sie scheint mir, in ihrer unablässigen Beschäftigung, meinen eigenen Müßiggang nicht übel zu nehmen und hält mit mir inne, Gespräch und Bewegung abrupt unterbrochen, als der Specht in der ausladenden Eiche über unseren Köpfen leise zu klopfen beginnt.
Fleißig, die Tiere, nicht? fragt sie rhetorisch und kehrt zu ihrer Wäscheblume zurück, an der jetzt nur noch wenige Farbtupfer hängen. Das mag ich so hier, fügt sie hinzu, hier ist immer was los. Ich werfe unwillkürlich einen Blick nach links und nach rechts, auf den Weg auf dem seit Sonnenaufgang drei Autos im Schritttempo gefahren sind, und den Kanal der spiegelglatt auf die nächste Schleusung wartet. Ja sage ich, etwas unsicher, aber in dem Moment fliegt ein Kormoran ganz dicht an der Wasseroberfläche vorbei und die Blässhühner flattern auf ihren Ruheplätzen auf den umgefallenen Baumstämmen. Ja, sage ich nochmal, hier ist immer was los. Ich kann nicht anders als mich zu fragen ob ihre Bemerkung eine Aufforderung an mich war, und ich bin zugegebenermaßen ein bisschen erleichtert als ich sie später am Vormittag ruhig in einem Sessel im Schatten sitzen sehe. Ihr Blick ist immer noch genauso friedlich und ihr Körper immer noch genauso entspannt wie vorhin.

Die alte Frau mit der Ente unterm Arm

Fotos: Torsten Stapel

Vorhin hab ich sie schon einmal gesehen, durch den sandigen Boden des Wegs am Kanal
ist sie in Richtung Schleuse gegangen, jetzt kommt sie zurück und bleibt stehen als sie an
unseren Booten mit ihren bunten Zelten vorbeikommt. Sie hält die Ente unterm Arm wie
einen kleinen Hund, manchmal streicht sie ihr mit der Hand sanft über den Kopf.
Nachdem ich sie schon vorhin unbeantwortet gegrüßt hatte, und ihr nun auch wieder Hallo
gesagt habe ohne eine Reaktion zu bekommen, verstreichen nun lange Momente in denen
wir uns sozusagen gegenüberstehen ohne dass sie von mir Notiz zu nehmen scheint.
Wenn ich Euch so sehe habe ich Lust das auch zu machen, sagt sie unvermittelt und eher
vage in meine Richtung. Das freut mich, sage ich und drehe ihr den Kopf zu. Ja, das würd
ich auch gern machen, aber richtig, meint sie. Ich unterdrücke ein kleines Lachen. Mein
Neffe, der wohnt jetzt schon so lange am Kanal, und da kommen immer Leute aus Berlin,
und die legen dann direkt bei seinem Haus an, erzählt sie, und aus ihrem Ton erwarte ich
dass diese Leute aus Berlin Pest und Cholera bringen, oder zumindest in die Büsche
pinkeln, zu laut Musik hören und ihren Müll nicht mitnehmen. Und jetzt ham sie sich ein
neues Boot gekauft und haben ihm das Alte geschenkt, zehn Meter ist das lang und drei
breit, grad isser am Werbellinsee damit, da hätten sie locker noch so‘n Sechser für haben
können.

Ich verstehe nur mit ein bißchen Verzögerung, signalisiere dann Interesse. Ja, meint sie, wenn ich könnte, würd ich das immer machen, so aufm Wasser ist doch schön. Ja, mit ihrem Neffen, meine ich, warum nicht. Nee, weil dann ist sie so krank, wenn sie früher immer in Urlaub nach Schweden gefahren ist, dann war das mit der Fähre – seekrank, danach zwei Wochen krank im Urlaub, dann Fähre zurück, und nochmal zwei Wochen krank. Ich muss unwillkürlich wieder lachen. Sie sieht mich ein bisschen vorwurfsvoll an, auf meine Nachfrage sagt sie, ja, sie sei oft in Schweden gewesen, schönes Land sei das, und streicht der Ente unter ihrem Arm zart über den Kopf. Auf dem Boot, da ist richtig Platz zum Schlafen und zum Kochen, ein richtiges kleines Haus ist das, mein sie, die Ente schließt die Augen und legt ihren Schnabel gegen die dünne Jacke die die Frau trägt.
Wir schlafen auch auf den Booten, sage ich, und ernte einen zweifelnden Blick, mit dem sie meine Maße zu nehmen scheint, und beschließt, dass ich sicher nicht ins Innere eines unserer kleinen Katamarane passe. Sie schüttelt den Kopf. Die Ente auch. Und wir kochen auch hier, mit einer vagen Handbewegung deute ich auf Mauricio und Ola die an unseren kleinen Reiseöfen ein Mittagessen zubereiten. Ja, fünf Leute passen auf das Boot, grade sind sie mit den Kindern auf dem Werbellinsee, ignoriert sie meine Antwort.

Wofür haben Sie eigentlich die Ente unter Arm? Da blickt sie mir das erste Mal direkt in die Augen und langsam öffnet sich ihr Gesicht zu einem warmen großen Lächeln. Kleine Falten um ihre Augen und ihre Nase, die schon in ihrem Mädchengesicht mitgelacht haben müssen, eine Strähne aus ihrem Haar weht ihr ins Gesicht. Ihre Hand räumt vorsichtig den Entenfuß, der entwischt war, wieder auf, dann
streicht sie sich die Strähne aus den Augen. Das ist was Schönes, was Sie da machen, sagt sie, was ganz Besonderes. Sie lächelt jetzt verschmitzt, blickt noch einmal kurz zu mir auf, und geht mit ihren kleinen, geduldigen Schritten weiter.

Der Waschbär mit dem Ahornbaum

Wir spielen alle unsere kleinen Programme unter einem einzigen, riesigen Ahornbaum,
dessen Äste einen großen Kreis formen, in dem die Zuschauer einmal, zweimal um den
Stamm wandern um alles nacheinander sehen zu können. Wie ein großes Zirkuszelt umhüllt
und verstärkt das Laub unsere leisen Gesten.

Der Waschbär ist direkt über den Köpfen der Leute und schaut sich das Alles eine Weile an.
Er sitzt in einer Astgabel und macht große Augen, wenn man ihn ansieht. Als die Leute auf
dieselbe Seite des Stammes kommen wird es ihm doch ein wenig zu intim, und leise, aber
vor allem gemächlich, zieht er sich zum Stamm zurück, an dem er dann Schritt für Schritt in
die Höhe klettert. Viel weiter oben steigt er dann wieder auf einen dünnen Ast, wandert dort
im Gleichgewicht bis zu einer passenden Gabel, und bezieht dort Stellung, um auf der einen
Seite nur seinen gestreiften Schwanz zu zeigen, und auf der anderen den gelegentlichen
Blicken mit starren Augen aus seiner Maske zu begegnen.

Lang haben wir ihn nicht gestört, wir sind zur Mittagszeit an der Leesenbrücker Schleuse in
Marienwerder angekommen, und noch vor dem Abend liegt der Platz wieder so da, wie wir
ihn vorgefunden haben, und alle Spuren unseres Festivals das in der Zwischenzeit
stattgefunden hat sind wieder verschwunden. Der Waschbär verlässt langsam seinen
Aussichtsposten und streift durch die Brombeerranken ans Ufer, wo er die gepflückten
Beeren mit leisen Gesten wäscht. Dann frisst er sie zufrieden auf…

Der alte Mann mit der Nelkenzigarette 2

Zwischen Marienwerder und Finowfurt fließt der Kanal durch den Wald. Der alte Mann mit  der Nelkenzigarette sitzt mir gegenüber und tritt nicht wirklich in die Pedale. Ich habe ein  bisschen das Gefühl, dass der Finowkanal plötzlich herauf fließt. Das Wasser liegt hier sehr still zwischen den hohen Bäumen, und vor unseren Booten kräuselt es keine Welle. Wir  liegen ein bisschen zurück und als sich das Becken ein bisschen verbreitert scheint es als  würden die Kollegen auf ihren kleinen Schiffen durch den Wald schweben. Es riecht nach  Unterholz und schweren Blumen und bis ganz nahe an die Autobahn sind nur die  Vogelstimmen und das Klatschen unserer Tretbootruder zu hören. Der alte Mann lächelt ein  bisschen spöttisch, so sehr komme ich ins Schwärmen. Er hat einen hellen Hut auf und der  Schatten umspielt seine Augen zusammen mit dem Rauch seiner süßlichen Zigarette. Er sitzt mit dem Rücken zu den kleinen Häuschen im Wald, die dem Kanal ihre Sonnenseite  zuwenden, er hat sich das so ausgesucht und will das jetzt auch nicht ändern.

Vor uns gleiten die drei anderen Boote und wecken die Neugier der Waldbewohner auf ihren Terrassen. Wenn sie dann zum Wasser kommen um den seltsamen Gefährten hinterher zu  blicken, tauchen wir erst auf, und im langsamen Vorbeiziehen entstehen zurre  Gesprächsfäden. Eine Frau muss erst ihr Gartentor aufschließen, kommt dann am Steg an  und ruft noch ihren Mann hinzu. Während sie da stehen und mit uns reden fällt ihnen auf,  dass der Steg schmutzig ist, sie bricht das Gespräch abrupt ab und ich sehe sie beim  Weiterfahren mit einem Wischer zurückkommen und energisch ihren Steg schrubben.

Der alte Mann winkt ab und drückt seine Zigarette in einer alten Bonbondose aus. Als er  seinen Hut abnimmt sehe um sich den Schweiß zu trocknen, sehe ich eine kleine  Schnittwunde an seiner Stirn. Vom Rasieren, sagt er als ich ihn darauf anspreche, kichert  kurz, und setzt seinen Hut wieder auf.

Dass mit dem Fahren geht aber deutlich besser als letztes Jahr, meint der alte Mann und  hustet kurz. Er sagt es ausgerechnet während zwei Boote querstehen, weil Anne und ich an  ihrem Antrieb Gummis getauscht haben, die sich durchscheuern und regelmäßig tariert oder ersetzt werden müssen. Ich bin kurz ein bisschen außer Atem, weil ich versucht habe jeden  Handgriff so schnell wie möglich zu machen, schaue ein bisschen irritiert, was ihn schon  wieder ein bisschen spitzbübisch unter seinem Hut hervorblitzen lässt, aber er meint es  ernst, und er hat recht. Sowohl unsere Boote haben sich verbessert als auch unsere  Fähigkeit damit umzugehen, und damit auch unsere Fähigkeit unseren Kollegen zu zeigen, wie man mit diesen Booten über diesen Kanal fährt.

Es riecht sogar mal kurz nach Rauch, während Georg auf seinem Ofen und während der Fahrt frischen Kaffee kocht. Ich grabe, ebenso während der Fahrt nach Schokolade und  Keksen, jemand findet Tassen in seinem Schwimmer und wir tauschen uns, im Zickzack  Positionen wechselnd, eine kleine Stärkung aus. Auch das Schleusen hat sich verbessert, letztes Jahr war es noch jedes Mal eine kleine Herausforderung. Jetzt sind die Tore offen, wenn wir ankommen und wir wissen was wir zu tun haben. Die Schleusenwärter kennen  unsere Reisegeschwindigkeit besser als wir selbst, und sie rechnen für uns mit, bis wohin wir an einem Tag fahren können. Nicht mal auf den Brückenhub warten wir jetzt, sondern falten unsere Dächer ein und kriechen unter der Brücke durch, ganz nah am gebeugten Rücken brummt der Straßenverkehr.

Der alte Mann ist kurz vorher ausgestiegen. Vielleicht wollte er sich das dann sich nicht antun, vielleicht hat er es auch im Rücken. Als ich unter der dunklen Stahlbrücke wieder auftauche sehe ich ihn links an der Straße stehen und mir, die Zigarette schon wieder in der Hand, noch ein kleines Zeichen geben.

Die Jugendlichen mit den vielen Feuerzeugen

Als wir anlegen, sitzen sie auf den Stufen die zum Steg führen. Sie bibbern ein bisschen, obwohl es sehr warm ist. Normal, ihre Kleider sind klatschnass, um sie herum ist eine mittelgroße Pfütze entstanden. Er sitzt zwei Stufen über ihr, sie lehnt sich zwischen seinen Beinen an, und versucht wohl auch ein bisschen Wärme abzubekommen. Sie schnorrt mich um ein bisschen Tabak an, besser gesagt, ob ich ihr eine Zigarette drehen kann. Er schüttelt immer wieder seinen Kopf, als ob er Wasser in den Ohren hätte. Hat er aber nicht, sein Kopf ist trocken, aber seine Haare sind vorne lang, und seine leichten Locken verdecken regelmäßig seine obere Gesichtshälfte. Ich reiche ihr die Zigarette, ganz Gentleman bietet er ihr Feuer an, mit einem Feuerzeug das er ihr aus der Brusttasche stibitzt hat. Als er es einstecken will zieht sie sanft aber bestimmt an seinem Ärmel, und mit einem großen Grinsen, das mal wieder ganz ohne Augen auskommen muss, lässt er es wieder in ihr Hemd fallen.

Vorhin standen sie noch bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Sie mit schriller Stimme, er  mit abgehackt wirkenden kurzen Sätzen, als würde sein Organismus mehr Wörter auf einmal nicht zulassen, rufen sie sich zu, was sie mit den Füßen am Grund des Kanals ertasten. Dann angeln sie danach und befördern große Absperrgitter ans Ufer, und ein Fahrrad, das noch recht funktionstüchtig aussieht.

Jetzt haben sie sich ihre vielen Feuerzeuge wieder eingesteckt, sie prahlen damit wie viele sie jeweils haben, kennen außerdem Markennamen von Feuerzeugen, ein Lebensdetail das  ich nie beachtet habe, und ich kann nur ihr Fachwissen anerkennen. Sie sind nicht hier um den Fluß zu beobachten und die Trauerweiden die hier ihre Äste fast bis ins Wasser hängen, oder um das Licht zu bewundern, dass sich jetzt gegen Abend mit immer wärmeren Orangetönen anreichert. Sie sind auch nicht hier um den Biber zu beobachten der am gegenüberliegenden Ufer sitzt und sich minutenlang das Hinterteil kratzt. Sie sind hier, weil  sie sich langweilen. Ihre Sommerferien sind lang und das ist auch gut so, meinen sie. Aber  ihre Zeit scheint einfach nicht vergehen zu wollen.

Mein Freund hat über 350 Feuerzeuge, sagt sie. Ich schaue ihn an. Wenn er nicht weiß, was er sagen soll kitzelt er sie unter den Armen oder an den Rippen. Ich schaue dann automatisch und ein bisschen schüchtern woanders hin. Das macht unseren Gesprächsfluss nicht besser, aber sie kompensiert unsere Lücken mit spielerischer Selbstverständlichkeit. Und eine aus meiner WG, die hat so einen Ständer, wie im Supermarkt, den hat sie voll mit Feuerzeugen, da sind bestimmt 150 drin, und dann hat sie noch mehr in einer Kiste.

Alles an ihr sieht jung aus, sogar die Zähne sehen so aus als seien sie gerade erst nachgewachsen und hätten sich noch nicht für eine definitive Größe und Anordnung entscheiden können. Ihre Augen sprühen vor Energie, während sie erzählt, von ihren WGs, die betreut sind, und wo sie nicht rauchen darf, von ihrem Freund, und ich merke, dass es nicht der junge Mann ist mit dem sie da ist, von ihrer Freundin mit der sie hoffentlich bald zusammen in eine Wohngruppe kommt, von ihrem Drogen- und Alkoholmissbrauch nach  dem Tod ihrer Schwester, von der Ungerechtigkeit des Lebens und ihrer super Bande, die sie abholen kommt nach dem kurzen Klinikaufenthalt den sie vorzeitig beendet hat. Mein Kopf schwirrt ein bisschen vor Informationen und ich frage mich ob der Fluss mich schon so verändert hat, dass ich nicht mehr mitkomme, oder ob ich einfach alt bin.

Der Biber sitzt immer noch da. Wahrscheinlich bin ich einfach alt. Sie lächelt während sie das alles erzählt, er, also ihr bester Freund, sieht betroffener aus. Aber ich kann seine Augen schon wieder nicht sehen, ich kann mich täuschen. Sie müssen dann mal los, er muss zu seiner Tante, auch er wohnt nicht mehr bei seinen Eltern, sie trifft ihre beste Freundin.

Wenig später sitzt ein junger Mann auf derselben Treppe. Er hat immerhin eine Angelrute auf dem Gepäckträger, auch wenn er dem Kanal bis jetzt nicht mehr Aufmerksamkeit schenkt als sie vorhin. Wir reden kurz über Fahrräder, seins, meins, und Georgs, und ich bemerke fasziniert mit welcher Selbstverständlichkeit er sich auf dieser Treppe benimmt als sei sie sein Wohnzimmer, genau wie die zwei Jugendlichen noch vor wenigen Minuten.

Drüben sitzt immer noch der Biber und knabbert an einem Ast. Später kommt sie nochmal kurz vorbei. Noch eine Zigarette, ihre Freundin wartet oben auf der Wiese. Morgen fährt sie in Urlaub an einen See, mit der WG. Und ihrer besten Freundin. Also einer anderen. Letztes Jahr im Urlaub hat sie alle dazu angestiftet nachts und in Klamotten im See baden zu gehen, sie lacht stolz und glücklich beim Erzählen.

Schön so viele Freunde zu haben, sage ich. Ja, schon gut, aber so viele sind’s gar nicht. Richtig gute Freundinnen hab ich nur vier. Sie sieht mir von alleine an, dass ich ihre jüngste Aussage widersprüchlich finde und wirkt kurz nachdenklich. Schöne Ferien Dir, ja danke, tschüss dann. Diesmal waren die paar Stufen mein Wohnzimmer, anscheinend zählt wer zuerst da ist. Die Sonne geht unter und der Biber ist jetzt auch nicht mehr da.

Der Junge mit dem Eisstiel im Mund 2

Er kann gar nicht richtig gut schwimmen. Es sieht ganz gut aus, wenn er vom Steg springt
und durchs Wasser schießt, aber jetzt ist er in der Mitte des Kanals und hält eine Hand aus
dem Wasser. Er hat eine Libelle auf der Fingerspitze, die auf der Wasseroberfläche lag und  
nicht mehr hochkam. Er hält sie hoch und trocken und ohne diese Hand wird sehr schnell
deutlich, dass er sich ganz gut an der Oberfläche halten kann, aber mehr nicht. Andere,
größere Libellen schwirren über seinem Kopf, wie lautlose Rettungshubschrauber, wechseln
nervös die Richtung und schweben dann sekundenlang regungslos an derselben Stelle.
Ich hocke im Sand des Uferweges und schaue ihm zu, während ich das Bremskabel am
Vorderrad seines kleinen Bruders richtig einbaue. Der fährt hier seit zehn Minuten mit einem
Freund hin und her und stellt jedes Mal, wenn er vorbeikommt, eine neugierige Frage, und
schleudert mit seinem Fahrrad den Sand in die Luft. Aber sein vorderes Bremskabel  
war ausgehängt und falsch wieder eingebaut und jetzt haben sie ihre Räder hingelegt und
stochern mit langen Ästen im Schilf, und ich habe alle nötigen Werkzeuge zufällig zur Hand
und nutze die Gelegenheit um seine Bremse wieder zum Funktionieren zu bringen.

Mein Papa kann das nicht, meint der kleine Junge als er zufällig entdeckt, was ich tue. Die
zwei kleinen Jungs schnappen sich ihre Räder wieder und schießen weiter hin und her.
Der Junge mit dem Eisstiel im Mund hängt jetzt an einem Ast, seine Hand ist immer noch in
die Luft gestreckt, anscheinend wartet er immer noch darauf, dass die Libelle ihre
Lebensgeister wieder zusammensammelt und seinen Finger wieder verlässt. Ganz vertieft
ist er in die Betrachtung seiner Hand und geistesabwesend schiebt er den Eisstiel in seinem
Mund hin und her. Irgendwann scheint die Libelle endlich zu starten, ich sehe ihn die Hand
sinken lassen und ihr lange hinterherblicken.

Na, also geht die jetzt, frage ich den kleinen Jungen als er mal wieder neben mir zum
Stehen kommt. Ja, sagt er und flitzt weiter. Sein großer Bruder klettert über ein altes
Surfbrett, dass er sich als improvisierten Steg ins Schilf gelegt hat, wieder zurück an Land,  
und schlüpft ohne sich abzutrocknen wieder in seine Kleider.

Ein Mann schiebt seinen Sohn im Fahrradanhänger am Ufer entlang in meine Richtung um
sich nach Etta zu erkunden, die letztes Jahr mit uns unterwegs war. Als sein Sohn
ungeduldig wird, beuge ich mich zu ihm und schenke ihm eine leuchtende Hibiskusblüte die
von einem Strauch gefallen war. Dante, sagt der Kleine, und grinst mich an. Das Abendlicht
färbt sich golden als der Junge mit dem Eisstiel im Mund an uns vorbeigeht und mit den zwei
Fahrradakrobaten in Richtung Dorf verschwindet.

Die Jugendlichen, diesmal ohne Feuerzeuge

Sie steht im Supermarkt plötzlich vor mir. Ich freue mich wie über ein Wiedersehen mit
einem alten Bekannten, sie auch, sehr offensichtlich. Ich staune, freue mich über das
vertraute Gesicht und das große Lächeln, weiß gar nicht, welche Form der Begrüßung in so
einem Fall passend sein soll. Ihre beste Freundin ist schon jetzt peinlich berührt. Tatsächlich
sind wir uns nur einmal begegnet, während der ersten Woche unserer Reise, und unsere
Begegnung taucht kurz vor meinem inneren Auge auf. Die Treppe am Kanal, der Biber, die
nassen Jugendlichen mit den vielen Feuerzeugen, und dass sie ins Ferienlager fahren
wollte.

Ich frage sie danach und sie freut sich sichtlich über die Gelegenheit zu erzählen, ihre beste
Freundin die auch dabei war, nickt nur manchmal mit dem Kopf, ist vor Allem aber sichtlich
entgeistert über die Situation. Wir kennen uns nicht. Wir stehen im Weg. Ich habe es eilig.
Sie redet eindeutig zu laut für einen Supermarkt, und ihre Geschichten sind eindeutig zu
intim um hier erzählt zu werden. Gleichzeitig ist ihre gute Laune ansteckend, ihr offensives
Vertrauen macht mich Lächeln und ich habe keine Lust das Gespräch abzubrechen.
Ich lese meine Einkaufsliste vor, auch um das Thema zu wechseln, greife in die mir
unbekannten Regale, sie kommentiert meine Einkäufe, auch ihre Freundin mischt sich jetzt
ein, hat eine klarere Meinung zu Lakritze, fürchterlich, schwarzer Schokolade, genial, als
zum Baden in der Müritz, so naja. Sie will jetzt aber doch mal suchen was sie braucht.
Zu zweit stehen wir also vorm Weinregal, schauen mit schräggelegten Köpfen die
Flaschenreihen an und nicken wissend und nachdenklich. Sie nimmt eine Flasche auf gut
Glück, präsentiert sie wie ein Sommelier, freut sich, dass ich einverstanden bin und
ebenjene Flasche in den Wagen lege.

Wir nehmen Anlauf und schlittern um die Kurve in die lange Reihe Konservendosen, sie
steht auf dem Rahmen des Einkaufswagens wie auf einem alten Auto mit Trittbrett, streckt
den Arm aus und wirft mir die Dosen zu, die sie schnappen kann, manchmal sind es sogar
die, nach denen ich frage. Ich bremse zu scharf ab und sie purzelt kopfüber in die
gegenüberliegende Auslage, ein Glück, Taschentücher, die habe ich noch gebraucht. Ihre
Hand erscheint in dem Haufen verschiedener Marken und Varianten, eine Vorratspackung
ist darin, unversehrt. Sie taucht prustend auf, schnappt nach Luft und schüttelt die kleinen
Päckchen ab die in ihren Kleidern hängen.

Wir wählen Frühstücksflocken aus, indem sie mit geschlossenen Augen in der Mitte des
Gangs steht, die Arme ausgebreitet, und sich im Kreis dreht, Stop, rufe ich, und wir nehmen
die Pakete auf, die sie beim Anhalten taumelnd zeigt. Wir sprinten zum Kühlregal, legen uns
große Mozzarellapackungen auf den Kopf um uns abzukühlen. Der Filialleiter trommelt
einen Rhythmus auf einem Vorratseimer Waschmittel, eine Einzelhandelsfachverkäuferin
spielt mit Bambuszahnbürsten ein Xylophon Solo auf einem leergeräumten Regalgitter.
Schön Dich weiterzusehen, sage ich in der Schlange am Kassenband, Ja, man sieht sich,
sagt sie mit Sicherheit in der Stimme, ich lasse ihre Freundin durch, sie legt nur Kaugummis
und ein Feuerzeug aufs Band. Mit Karte zahlen bitte, nein, keine Kundenkarte, danke, ihnen
auch noch einen schönen Nachmittag.

Bis ich zur Tür komme sind die beiden schon außer Sicht. Vielleicht hab ich jetzt ein
bisschen zu viel in den Taschen, denke ich jetzt. Auf dem Boot sieht der Inhalt eines
Einkaufswagens nach übertrieben viel aus, aber irgendwie konnte ich mich nicht richtig
konzentrieren.

Die jungen Frauen mit der WG

Mein Blick hat sich verändert, wenn ich über Brücken fahre, ich schaue jedes Gewässer an wie einen potenziellen Wasserweg, stelle mir vor wie unsere kleinen Katamarane darüber gleiten könnten, frage mich wie das Zusammentreffen mit den Menschen am Wasser hier stattfinden könnte, genieße die Fantasien einen Moment, so wie jetzt im Schnellzug sitzend, und finde mich schnell in Erinnerungen wieder. Schnell wie Gedanken streife ich wieder durch Deutschland und Europa, treffe Kollegen und Familie in Zeitrafferwochenenden, zünde und starte Motoren, passe meine Zugverbindungen den diversen Verspätungen an,

checke in Hotels ein und aus in deren langen Korridoren ich mich verlaufe, und bei jeder Gelegenheit schweift mein Blick über Wasser und sucht nach der kleinen Karawane aus bunten Booten die mich langsam um die Ecke tragen könnte.

 

Ganz unverhofft haben wir so zwei Frauen an einem Bootssteg auf der grünen Uferseite in Eberswalde überrascht. Können wir mitfahren? Klar. Aber die Fahrräder? Die auch.

Ich schlage die Leinen um die kleinen Poller und halte die Seile fest während erst die Fahrräder und dann ihre Besitzerinnen einen Platz auf meinem Boot finden. Abstoßen, weiterfahren, Leinen wieder einrollen. Eine lacht und sitzt mir gegenüber und tritt mit mir in die Pedale, eine sitzt auf meiner Bootskiste und sieht nachdenklich wie zu wie wir

ganz geruhsam die Stadt durchqueren, auf unserem Weg zur Eberswalder Schleuse und weiter. Wie weit weg mir jetzt schon die Schleuse erscheint, die kleine Erleichterung die ihr Schatten und ihr Luftwirbel in die Sommerhitze gleiten lassen. Wie weit die Sommerhitze schon wieder weg ist, in der ich zugesehen habe wie eine ganze Gruppe junger Erpel sich immer wieder müde den Weg vom Wasser bis unter ein geparktes Auto geschleppt haben. Selbst zum Schnattern zu betäubt von der Sonne. Wenn es nie wieder regnet dann müssen wir einen Regentanz machen, sagt die Frau auf der Kiste, und blinzelt in die Sonne und das gleißende Wasser des Kanals. Weißt Du warum das bei den Indianern funktioniert fragt die Andere und schaut mich schelmisch an? Nein, sage ich und muss lachen, gestern standen wir stampfend und singend auf einem Holzanleger und haben einen Anwohner zum Kopfschütteln gebracht. Was er genau gesagt hat weiß ich jetzt nicht mehr, aber schon da ging es um eventuelle Regentänze…

 

Weil sie einfach nicht aufgehört haben bis der Regen kam, sagt sie, und in ihrem Blick ist Sehnsucht. Vielleicht fahr ich einfach mit, wird sie später sagen, ich fahr einfach weiter mit, aber ihre Freundin protestiert, weil sie gerade erst eingezogen ist, in die WG, und jetzt schon wieder einen neuen Mitbewohner suchen zu müssen einfach zu viel Stress wäre.

Weil wir noch einkaufen wollen legen wir bald nach der Schleuse an einem Anleger an, das Gespräch driftet um Freiheit und Fernweh. Was hält Dich denn hier, fragt die Sehnsüchtige, und schlagfertig antwortet ihre Kollegin, das Seil noch in der Hand mit dem sie das Boot vertäut hat: Der Knoten hier…

 

Die Lust manchmal mein Auto an Laternen festzubinden, vielleicht kommt sie daher, aus dieser Verbindung zum Ufer, die es ermöglicht mit der Welt um uns herum in Austausch zu treten. Ach wenn es doch reichen würde diese leisen Gesten mitzunehmen um überall so intensiv austauschen zu können wie auf unserer Fahrt über den Finow. Eine Leine muss da noch angebunden sein, ich spüre wie sie an mir zieht, wahrscheinlich komm ich nächstes Jahr einfach nochmal und ziehe den Knoten nach.

Die Veranstaltungen

Guten-Morgen-Eberswalde DCCLXXXIX
Sonnabend, 20. August 2022, 10:30 Uhr
Heute an der Eberswalder Stadtpromenade unterhalb der Friedensbrücke

Das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek, Anita
Bertolami, Shiva Grings und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Spiel und Musik)

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/ 

Foto: Torsten Stapel

Zum Abschluß ihrer dreiwöchigen Tournee gastiert das Festival der leisen Gesten noch einmal in seiner Gänze bei Guten-Morgen-Eberswalde am Sonnabend, dem 20. August 2022, sozusagen im Heimathafen an der Eberswalder Stadtpromenade. Die 789. Ausgabe von Guten-Morgen-Eberswalde beginnt, wie sollte es anders sein, um Halbelf am Vormittag.

Das „Festival der leisen Gesten“ wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 

Ausstellung, Konzert und Festival der leisen Gesten

Freitag, 19. August 2022, ab 17 Uhr
Pfarrgarten Ostend

(Saarstraße 55, 16225 Eberswalde)

Musik von LüüL & Friends, Holzskulpturen von Alexander Schenk und das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek,  Anita Bertolami, Shiva Grings und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Clownerie und Musik)

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/

Das „Festival der leisen Gesten“ wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 

Kultur-Fest am Kulturerbe-Ort

Eine Feier zur Erlangung des Europäischen Kulturerbe-Siegels!

Mittwoch, 17. August 2022, 16 – 20 Uhr
Schöpfwerk Neutornow

(16259 Bad Freienwalde, OT Schiffmühle, Neutornow, gegenüber Nr. 67)

Das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek,  Anita Bertolami, Shiva Grings und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Clownerie und Musik)

https://oderbruchmuseum.de/

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/

–in Kooperation mit der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft „Kulturerbe Oderbruch“

Das „Festival der leisen Gesten“ wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 

Guten-Morgen-Eberswalde DCCLXXXVIII
Sonnabend, 13. August 2022, 10:30 Uhr
Heute beim Barnimer Brauhaus in Hohenfinow

(direkt am Bahnhof Niederfinow, Am Bahnhof 4, 16248 Hohenfinow)

Das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek, Ola Muchin, Mauricio Roibó und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Clownerie und Musik)

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/

– in Kooperation mit dem Barnimer Brauhaus

Foto: Torsten Stapel

Wir haben moderne Nomaden in der Region, Künstler die mit ihren selbstgebauten Tretbooten auf dem Finowkanal unterwegs sind, Orte entdecken, sich merken und wieder aufsuchen, vielleicht zukünftig in jeder Saison.
Das Festival spielt am kommenden Sonnabend, dem 13. August 2022 ein zweites Mal im Rahmen von Guten-Morgen-Eberswalde auf. Wir betätigen uns als Botschafter Eberswaldes, reisen dem Festival nach und präsentieren uns diesmal außerhalb der Stadtgrenzen, schließlich sind wir im Reisemonat. Nach Janine Bohn von der First Crack Kaffeerösterei auf dem Rofin Park Gelände in Eberswalde am vergangenen Sonnabend, sind diesmal Nora und Sören von Billerbeck mit ihrem Barnimer Brauhaus in Hohenfinow unsere Gastgeber. Ihre Brauerei ist direkt am Bahnhof Niederfinow, also wiederum ganz in der Nähe des Finowkanals gelegen.

Auch die 788. Ausgabe von Guten-Morgen-Eberswalde beginnt am Vormittag um Halbelf. Kommen Sie mit dem Zug, mit dem Fahrrad auf dem Treidelweg oder bilden Sie Fahrgemeinschaften… Freuen Sie sich auf den aus Frankreich zu uns gekommenen Zirkuskünstler Julian Bellini mit seinen auf Beutezug befindlichen Tieren, auf die niederländische Liedermacherin und Entertainerin The Cat’s Back und die deutsche Folkmusikexpertin Ursula Suchanek, auf die polnische Puppenspielerin Ola Muchin und den chilenischen Puppenspieler Mauricio Roibó, sowie den Schweizer Erfinder und Performer Georg Traber. Geschichten, Installationen, Spiel und Musik! Für Jung und Alt, für Groß und Klein geeignet. Freier Eintritt wie gewohnt, Spenden sind gern gesehen.

Das „Festival der leisen Gesten“ wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 

Fotogalerie Guten-Morgen-Eberswalde DCCLXXXVIII beim Barnimer Brauhaus

Sonntag, 7. August 2022, 15 Uhr
Heute auf dem Grundstück von Grit Mikeska in Marienwerder ganz in der Nähe der Leesenbrücker Schleuse

(An den Sandenden 30, 16348 Marienwerder)

Foto: Torsten Stapel

 

Das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek, Moe Jaksch, Ola Muchin, Mauricio Roibó, La Luna und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Clownerie und Musik)

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/

Das „Festival der leisen Gesten“ wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 

Guten-Morgen-Eberswalde DCCLXXXVII
Sonnabend, 6. August 2022, 10:30 Uhr
Heute im Rofinpark vor der Halle 36

(Coppistraße, 16227 Eberswalde)

Das „Festival der leisen Gesten“!

Mit Julian Bellini, The Cat’s Back, Ursula Suchanek, Moe Jaksch, Ola Muchin, Mauricio Roibó, La Luna und Georg Traber (Geschichten, Installationen, Clownerie und Musik)

https://eblofari.com/festivalderleisengesten/

-in Kooperation mit Firstcrack Kaffeerösterei

Der August ist bei Guten-Morgen-Eberswalde mittlerweile schon traditionell als Reisemonat bekannt und insofern ist die Veranstaltungsreihe mit seinen Ausgaben 787 bis 790 auf Tour, einmal betätigt sich Guten-Morgen dabei als Botschafter Eberswaldes sogar außerhalb der Stadtgrenzen…

An den ersten drei Sonnabenden präsentiert Guten-Morgen-Eberswalde die internationale Künstlergruppe des „Festivals der leisen Gesten“ in wechselnden Besetzungen. Nach der Pioniertat im Vorjahr werden wir in diesem Jahr den Künstlern und Künstlerinnen vom 1. bis zum 21. August 2022 immer wieder auf dem Finowkanal mit ihren Tretbooten begegnen können. Diesmal geht es in Richtung Westen bis nach Marienwerder und Richtung Osten bis zum Schöpfwerk Neutornow im Oderbruch.

Das Festival in seiner Gänze wird sich zunächst am kommenden Sonnabend, dem 6. August 2022 im Eberswalder Rofinpark vor der Halle 36, der zukünftigen Kaffeerösterei von Firstrack, präsentieren. Um Halbelf am Vormittag erleben wir dann u.a. den aus Frankreich zu uns gekommenen Zirkuskünstler Julian Bellini, die niederländische Singer & Songwriterin Anne Harmsen alias The Cat’s Back, die deutsche Folkmusikerin Ursula Suchanek, den musikalischen Allrounder Moe Jaksch aus Berlin, die polnische Puppenspielerin Ola Muchin und den Schweizer Performer und Spiritus Rector des Unterfangens Georg Traber.

Geschichten, Installationen, Spiel und Musik um Halbelf am Vormittag! Für Jung und Alt, für Groß und Klein geeignet. Freier Eintritt wie gewohnt, Spenden sind gern gesehen.

Fotogalerie Guten-Morgen-Eberswalde DCCLXXXVII im Rofinpark

Festival der leisen Gesten auf dem Finowkanal, Foto: Torsten Stapel

Das Festival erzählt eine neue Geschichte reisender Kunstformen im öffentlichen Raum. Es bewegt sich auf dem Wasser voran und die Flotte von kleinen, ausschließlich mit Wind und Muskelkraft angetrieben Booten, bringt die Künstler von einem Spielort zum nächsten. Die Reisenden setzen sich dabei mit der Region und ihren Eigenarten auseinander. Während der Tour schlafen und wohnen sie auf den Booten, in Zelten am Ufer oder sind zu Gast bei Einheimischen. Dieser länger andauernde und nahe Kontakt setzt auf intensive Begegnung an den Spielorten, welche in die Produktionen und die Gespräche einfließen, und im günstigen Falle auch die Zuschauer zu einem neuen Blick auf ihr Zuhause verführt.

Festival der leisen Gesten am 5. August 2021 vor der Galerie Fenster, Foto: Torsten Stapel

Die Palette der Darbietungen beim „Festival der leisen Gesten“ reicht von Walkact Animationen und erzählten Geschichten bis hin zu vor Ort entstehenden Installationen, Musik, Tanz und Theater.

Initiator des Ganzen ist die Traberproduktion des Schweizer Künstlers Georg Traber, mit dem wir schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Wir denken nur an seine Installation „Heinz baut“, seine Maschine „Till trifft“ oder das wunderbare Musik Karussell, welches auf dem Eberswalder Weihnachtsmarkt Sogwirkung entfaltete.

Festival der leisen Gesten 2021

Veranstaltungen 2021

MI 04. August 2021 11:00 Uhr | Potsdamer Platz 16227 Eberswalde
Wochenmarkt | Helle Stunde mit Kultur

DO 05. August 2021 19:00 Uhr | Prignitzer Straße 50 16227 Eberswalde
Galerie Fenster | Ausstellungseröffnung

SA 07. August 2021 10:30 Uhr | Schlossgutsiedlung 9 16244 Schorfheide
Schlossgut Finowfurt | Guten Morgen Eberswalde

DI 10. August 2021 19:00 Uhr | Schleusenstraße 61 16225 Eberswalde
Atelier Gudrun Sailer | WERFT TV Studio Halbelf

MI 11. August 2021 11:00 Uhr | Potsdamer Platz 16227 Eberswalde
Wochenmarkt | Helle Stunde mit Kultur

SA 14. August 2021 20:00 Uhr | Triangel Camping Niederfinow 16248 Niederfinow
Es spielen Sara Hasenbrink „Das kleine Gedeck“ und Julian Bellini

MI 18. August 2021 19:30 Uhr | Hebewerkstraße 16248 Niederfinow | Ehemalige „Kistenfabrik“

SA 21. August 2021 10:30 Uhr | Barnimer Brauhaus in Hohenfinow
U.a. mit Julian Bellini, Inka Arlt, Sara Hasenbrink, Etta Streicher und Georg Traber

Logbuch des Reisenden Julian Bellini 2021

Fotos: Beatrice Graf

Wenn ich die Augen jetzt schliesse kann ich es immer spüren. Manchmal muss ich ein bisschen mehr suchen, manchmal ist es überdeutlich. Die Welt schwankt um mich herum. Oder in mir. Der Unterschied ist nicht immer ganz klar.

Seit drei Tagen sind wir jetzt auf den Booten. Endlich, nach den Monaten der Vorbereitung, den endlosen Baustellen,der langen Anfahrt und zu guter Letzt dem anstrengenden Aufbau, schwimmt unser verspieltes, wunderbar einfaches und verwinkelt ausgeklügeltes Zeltdorf nun im Finowkanal.

Drei Tage in denen ich bestimmt öfter auf ein Boot gestiegen bin als in meinem ganzen Leben vorher, ich habe in dem Zelt geschlafen das mich, am Steg gesichert, langsam durch die Nacht wiegt, ich habe alles mindestens dreimal in verschiedene Kästen und Listen ein-und wieder ausgeräumt.

Bin ich auf dem Boot schwankt das Boot und mein Körper gleicht die Bewegung aus. Sie weit so einfach. Manchmal sieht das ein wenig komisch aus, vor Allem wenn ein Fuss auf dem Boot steht, das andere Bein noch am Ufer, und am besten keine Hand frei ist um sich an irgendetwas festzuhalten. Manchmal fühlt es sich so einfach an als hätte mein Gleichgewichtssinn nur auf diese Gelegenheit gewartet, wenn mehrere Personen sich auf dem Boot bewegen und mal die Nase, mal eine Seite, mal die andere, tiefer ins Wasser eintauchen, um gleich darauf sanft wieder nach oben zu schwingen.

Natürlich schwankt da alles, und ich merke es nicht, es ist ein sanftes Trudeln, mein Innenohr in der Badewanne.

Aber natürlich bin ich nicht immer auf dem Boot. Am Wasserhahn muss ich mich bücken und leise sucht mein Gehirn nach der Bewegung die der Boden unter meinen Füssen jetzt machen sollte, sie kommt nicht, lebst der weiche Sand unter dem Gras schaukelt nicht. Ich stehe an der Ladenkasse und frage mich ob man von aussen sieht dass mein Körper sich immer sacht hin und her wiegt, selbst im Sitzen suchen meine Sinne nach den Eindrücken die mir verraten könnten wie ich die nächste Gewichtsverlagerung ausgleichen sollte.

Die Welt schwankt.

Die Welt scheint es gut mit uns zu meinen. selbst wenn wir uns übernehmen und uns zu viel Arbeit an einem Tag zumuten belässt sie es bei einer kleinen Warnung.

Natürlich legen wir zu spät ab, natürlich haben wir doch zu lange gebraucht um das vierte Boot zusammenzubauen. In einer losen Reihe gleiten unsere Tret-und Hausboot Katamarane den Kanal entlang. Kleines inneres Jubeln, viele Eindrücke die ich gerne einen nach dem anderen verarbeiten würde. Kleine Herausforderungen in diesem Fahrzeug das nicht auf hartem Untergrund das für mich tut was Strassenfahrzeuge seit den diversen Skateboards und Dreirädern für mich tun.

Zum Beispiel anhalten wenn ich sie anhalte. Oder nur in eine Richtung auf einmal fahren.

Ich lerne noch was ich tun muss um mich mit dem Boot auf eine ungefähre Richtung zu einigen, lerne mit ihm die Geschwindigkeit zu verhandeln (und es gibt einige Nuancen zwischen « nicht wirklich stillstehen » und « beschwingte Schrittgeschwindigkeit »).

Währenddessen wird es dunkel.

Und es fängt an zu regnen.

Und das Wasser ist da wo wir fahren wollten gar nicht tief genug.

Als die Nacht ihre Schwärze entfaltet hat ist der Schauer schon wieder vorbei, die Boote mehr oder minder festgebunden und es ist nichts wirklich schiefgegangen, aber das tiefe Durchatmen hat eine neue Qualität.

Unser kleines Zeltdorf liegt jetzt locker angeleint am Steg, wir sitzen mit Stephan und Andrea am Steg und reden über Keramikbrennöfen und das Ego in der Kunst, der Einbruch der Nacht ist diesmal eine friedliche Stunde.

Und in kleinen, schwankenden Schritten verhandeln wir mit dem Festival der leisen Gesten, das da in eine unscharfe Richtung schaukelt und in einer ungefähren Geschwindigkeit Fahrt aufnimmt.

Fotos: Torsten Stapel

Manchmal möchte man einfach Durchschnaufen und Geniessen. Hinter uns liegt monatelange Vorbereitung, jede Menge Arbeit und noch mehr Ideen und Träume. Vor uns liegen sicher auch noch ein paar Hindernisse. Einige können wir schon erahnen, andere werden sich in genau dem
Moment präsentieren in dem sie auftreten, manchmal werden sie auch eine sofortige Lösung erfordern, oder eine schnelle Reaktion. Aber dazwischen liegen Momente in denen man einfach innehalten möchte. Momente die man ein bisschen mehr wahrnehmen möchte. Kurze Momente in denen einfach nur das Wirklichkeit wird, was so lange eine Vorstellung war.

Die Boote gleiten übers Wasser, begleitet vom leisen rhythmischen Klatschen der Antriebsruder. Eine kleine Perlenschnur verrückter und bunter Tretboote die uns um den Körper wachsen wie
Wasserschneckenhäuser. Dass auch das Verkehr und Transport ist muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, so stark ist der Kontrast zu allem was ich in dieser Kategorie bisher gekannt habe.

Oder die Schleuse, die brodelt und unsere Boote in ihrem kochenden Wasser an der Mauer entlang nach oben schiebt. Schwarze Mauern, Muscheln die sich farblich in nichts von den Backsteinen unterscheiden an denen sie Halt gefunden haben. Bis ich meinen Platz eingenommen habe ist ein Tor sowieso schon zu. Dann donnert das Wasser ein und mein kleines Boot wird geschüttelt und gedrückt, und auf einmal ruckelt es mich nach oben. Und während das einströmende Wasser sanfter wird weitet sich oben der Himmel und auf einmal steigt mein Kopf über die gemauerten Backsteine und entdeckt Gras und Blumen neu.

Natürlich ist dieses Innehalten gar nicht möglich, zu viel ist noch zu tun und zu bedenken, zu reparieren und anzupassen. Drei unser vier Boote sind auf ihrem ersten Ausflug seit wir sie umgebaut haben, ein einziger von uns hat Erfahrung mit dem Material und seiner Benutzung.
Ich lerne jeden Schritt und jede Funktionsweise neu und versuche gleichzeitig zu lernen und das Gelernte dann auch Abzuspeichern. Gleichzeitig nicht die Bedürfnisse der Anderen aus den Augen verlieren bitte, gleichzeitig nicht vergessen was noch alles vor mir liegt und meine Aufmerksamkeit früher oder später brauchen wird. Gar nicht so einfach da manchmal tief einzuatmen und das Allerwichtigste zu bemerken.
Wir fahren. Wir sind da wo wir sein wollten. Da wo wir sein wollen.

Und es ist ein aufregender Ort. Wildnis erobert sich Parzelle um Parzelle, Wurzel um Wurzel, ein Reich zurück, das ihr vor nicht allzu langer Zeit entnommen wurde, bebaut mit Bauwerken die dafür gemacht waren lange Zeiten zu überdauern, aus Materialien für die Ewigkeit. Backsteine und Stahl stapeln sich zu eigensinnigen Türmen und in den hohlen Fenstern lassen sich die riesigen Innenräume erahnen. Eine Rückseite. Eine der kleinen Rückseiten der Welt. Ich kenne ihre Strassenseite, manchmal rausgeputzt, manchmal nicht, aber hier geht ein Vorhang auf und ich sehe hinter die Bühne, werfe ein Blick in eine intime Unordnung aus ineinander verwobenen Welten die sich sonst so sauber getrennt halten.

… und am Mittag danach

Ein Gespräch über Mücken. Wir sitzen vor der Galerie Fenster und warten auf die Eröffnung der Fotoausstellung, vertieft in ein Gespräch über einen der Eindrücke die unser Leben auf dem Kanal beherrschen… Und auch hier brechen sofort die Trennungen auf und aus einem Gespräch
über Mücken unter uns entwickelt sich eine Unterhaltung mit einem Gast der mir Besonderheiten seiner Biographie und seiner Gegend um Eberswalde vermittelt. Meine wenigen Entdeckungen aus den wenigen Tagen um diesen Kanal verweben sich mit seinen Erzählungen, Fotos die ich auf den Informationstafeln gesehen habe erhalten von ihm eine Geschichte aus erster Hand. Hallen und Ruinen die mir aufgefallen sind bekommen ihren Anstrich und ihren Betrieb zurück.

Eigentlich ist dieser Eindruck viel beherrschender als die 3500 Mückensorten (belegt) die hier im Umland umherschwirren. Der Eindruck dass zwischen uns und den Leuten die uns begegnen ganz schnell Brücken entstehen. Der Eindruck dass dieses Wasser, das die Dörfer und Städte untereinander verbindet, auch uns Gäste mit den Leuten die an seinem Ufer leben verbinden kann. Eine geteilte Erfahrung. Eine gemeinsame Geschichte die es uns ermöglicht miteinander in ein Gespräch zu schwimmen das friedlich dahingleitet und ebenso viele Überraschungen
bietet wie der Fluss und seine Buchten, seine Ufer und seine Ausblicke.

Während die Dämmerung hereinbricht beginnt der Abend mit Sekt und Spritzkuchen (die mir auch schon mehrmals erzählt worden waren) und Georg und Beatrice beginnen ihr Zusammenspiel das in der  wechselhaften Musik ihres Schlagzeugs die Spannung findet die nötig ist um aus biegsamem, feinem Draht Figuren entstehen zu lassen, die auf ihren wackeligen Beinen stehen bleiben und leise schwanken. Gebannt hat der Kreis aus Menschen die sich für die Vernissage eingefunden haben diese Entstehung begleitet, ist mit dem Drahtgebilde erzittert wenn Georgs Hände, das fragile Gleichgewicht ertastend, eine neue Biegung in seinen Wuchs geben. Das gemeinsame Aufatmen ist spürbar. Georgs Hände lösen sich von der entstandenen Skulptur, Beatrices Rhythmen und Melodien erschauern noch in einer Welle aus der ihr eigenen Gleichzeitigkeit von Stabilität und Nervosität, und kommen dann zur Ruhe.

Ganz ohne Anstrengung formieren sich die Gruppen die die Ausstellung besuchen und die Bilder sehen, Bilder von Frauen die ihren Platz hier so natürlich einnehmen als wären sie hier entstanden, ein Echo einer Stimmung die es in ganz Europa zu geben scheint und die auch hier ihre Schwingungen bildet. Spannend diese Blicke zu sehen die denselben Gegensatz aus Ruhe und Aufregung enthalten den wir gerade gemeinsam erlebt haben.

Aus der zwanglosen Ungleichzeitigkeit der Abendgestaltung ergibt sich eine Stimmung die einem Familienfest nicht unähnlich ist. Vielleicht sind wir in diesem Kreis noch nie zusammengekommen, aber wir gleiten vom Innenraum in den Garten und von dort zur Bar und von einem Gespräch ins nächste und von einer Betrachtung in die nächste. Ich geniesse es wahrzunehmen dass die Kunst, die hier auf verschiedenen Tabletts aufgetragen wird, uns verbindet und sich nicht auf Sockeln und Bühnen zwischen uns stellt. Ein Festival der leisen Gesten das Leute mit Kunst zusammenbringt, und Udo als Gastgeber der die Kunst beherrscht Leute zusammenzubringen.

Der kurze Regen der das Ende des Abends ein wenig beschleunigt sorgt zumindest dafür dass uns die Biodiversität der blutsaugenden Zweiflügler heute Nacht weniger besucht…

Fotos: Torsten Stapel

Erstaunlich zu spüren wie sehr sich unser Laben in gewohnten Bahnen bewegt, sobald man diese Bahnen verlässt. Wir verbringen zwei Tage mit Fahren und legen eine Distanz von stolzen zehn Kilometern zurück. Das ist ungewohnt. Es ist vielen Umständen geschuldet aber vor Allem kommt es daher dass keine Notwendigkeit besteht schneller zu sein. Wir geniessen die Sonnenstrahlen auf dem Wasser, wir bewundern die Spiegelungen der Brücken im Kanal, aus dem Bogen in der Luft und seiner Spiegelung entsteht ein Tunnel durch den wir uns von unseren Tretbooten saugen lassen.

Wir geniessen die kleinen Wartezeiten am Schleuseneingang, bewundern die Schleusenbauten die seit ihrer letzten Renovierung vor hundert Jahren (Kupferhammerschleuse?) ihre Arbeit zuverlässig verrichten, uns aus der Erde zu heben oder in die Erde zu senken. Es will uns inzwischen so gemütlich gelingen, als hätte es die Aufregung und latente Überforderung letzte Woche beim selben Vorgang, nie gegeben.

Wobei es natürlich auch unser Glück ist dass wir dem grossen Ausflugsschiff, das sich mit aufreizend langsamer Geschwindigkeit aus dem Schleusenbecken schiebt während wir oberhalb warten, nicht an einer schmalen Stelle begegnen. Immer höher wächst es über das obere Tor der Stadtschleuse während das Becken dahinter vollläuft. Als die Tore sich öffnen schiebt sich ein Rumpf durch die Öffnung der links und rechts keinen Raum für Steuerfehler lässt. Unterm Rumpf anscheinend noch weniger… Wie kleine Kaulquappen zappeln unsere Boote an dieser schwimmenden Insel vorbei und in die Kammer.

Die Stimmung hat sich gewandelt, das Fahren nimmt jetzt weniger Aufmerksamkeit in Anspruch, wir haben jetzt Platz in unseren Köpfen um die Sinne zu öffnen und die Umgebung in uns aufzunehmen, sind verfügbarer für das Zusammentreffen mit den Leuten denen wir begegnen, oder die wir durch das Schilf und die Bäume am Ufer wahrnehmen, und die Veranstaltungen an denen wir auftreten.

Es sind schöne Wahrnehmungen die in meinem Kopf nun langsam zu Erinnerungen werden. Der flüchtig aufblühende Gruss an die wenigen anderen Boote oder ans Ufer, ein geniesserisches Teilen des üppig vorhandenen grünsilbrigen Raumes, der in seiner Wildnis nicht ahnen lässt dass wir uns so nah an der Stadt bewegen.

Der Austausch mit den Leuten deren Universum sich mit unserem überlappt, durch ihre künstlerische Tätigkeit, ihre Einbindung in das kulturelle Leben oder ihre Nähe (und oft Liebe) zu diesem Kanal und seiner Landschaft.

Guten Morgen Eberswalde.

Ein Höhepunkt im Programm der ersten Woche.

Ich habe am Abend vorher das Schlossgut Finowfurt ein wenig erforscht, im Dämmerlicht den Gegensatz zwischen der verwunschenen überwucherten Stuckfassade der Rückseite und der Betriebsamkeit der Vorderseite wo der Samstag vorbereitet wird.

Jetzt strömen Besucher ins Gelände und ich staune über die familiäre Stimmung die sich Raum nimmt, verstehe langsam dass dieses Publikum sich kennt und sich vertraut, so wie es Udo vertraut, der zur Begrüssung erklärt dass, nach über 700 Samstagen in Eberswalde, nun das erste Mal die Stadtgrenze überschritten wurde um den guten Morgen woanders zu zelebrieren. Ein wenig fühle ich mich feierlich, durch meine Teilnahme an diesem ersten Mal.

Da ich sofort danach das Gelände verlassen muss um noch einen anderen Auftritt zu spielen kann ich leider nicht teilnehmen an dem Austausch der sich im Anschluss entfaltet.

Ich entdecke stattdessen eine Besonderheit die ich aus meiner fernen Kindheit im fernen Süddeutschland so nicht kenne. Ich trete auf an einem Zuckertütenfest. In diesem Fall ein Familienfest in einem schönen Park, mit Kindern denen die Aufregung ins Gesicht geschrieben steht. Beatrice an ihrem energisch aufgeladenen Schlagzeug und ich mit meinen beutegreiferischen Frühstücksszenen geniessen die Lockerheit die während unserem Auftritt an den Tischen entsteht, und die Freude der Kinder und Eltern.

Dank Martins Hilfe sind wir rechtzeitig am Zug und ich nehme schweren Herzens Abschied von Beatrice, die unsere Reise verlässt, und wir versprechen uns das gemeinsame Reisen und Spielen zu wiederholen und die Verbundenheit nicht zu vergessen, die aus den wenigen Tagen des Zusammen-er-fahrens entstanden ist.

Rechtzeitig bin ich auch zurück am Schlossgut Finowfurt um die zweite Veranstaltung zu entdecken die heute dort stattfindet. Der Treidelmarkt hat schon begonnen und ich finde eine ruhige Ecke im Treiben aus Musik und Ständen um meinen Tisch mit kleinen Raubtierszenen aufzubauen. Rechtzeitig bin ich bereit, während Etta hinterm Haus Publikum für ihre Kartoffelpoesie versammelt. Als dieses Publikum dann zu mir kommt ist das Licht schon abendlich und in die Dämmerung hinein spiele ich noch zwei Szenen für eine wohlwollende, aufmerksame Gruppe. Die Kinder machen mich darauf aufmerksam dass sie sich an die Szene vom Morgen erinnern und gerne nicht das Gleiche sehen wollen und ich freue mich dass sie wieder gekommen sind, und ich ihnen andere Tiere bieten kann.

Als das Tageslicht erlischt bin ich müde von dem langen Tag mit vielen Begegnungen und Auftritten und geniesse die Musik und das Feuer, komme endlich zum Essen en einem der Stände (auch das Essen ist eine Entdeckung, danke Thorsten), und kann noch ein bisschen die Atmosphäre atmen bevor ich mein Material wieder aufs Boot bringe.

Irgendetwas trifft einen Nerv. Eine Sehne die in Schwingung kommt. Ich beobachte es seit ich hier bin, am Kanal, am Wochenmarkt im Brandenburgischen Viertel, oder an der Galerie Fenster. Nun sehe ich es in den Gesichtern auf diesem Markt, auf beiden Seiten der Stände und Tresen, eine Einfachheit in der Begegnung, eine Neugier die sich schnell entfacht in den Gesprächen die ich beobachte und die ich führe. Ich höre es in den Gesprächen am Wasser, wenn Georg seine Boote vorführt, ob das nun zwischendurch, beim Warten auf die Schleuse stattfindet, oder in einer organisierten Führung, so wie bei Guten Morgen Eberswalde. Und ich sehe es an den offenen Mündern eines Paares, das im Schilf steht und die Boote beim leisen Vorbeigleiten beobachtet.

Und obwohl wir uns so langsam bewegen habe ich das Gefühl schon am heutigen Dienstag in einem wiederum anderen Universum, in einer anderen Welt zu sein. Wir entdecken den Garten von Gudrun Seiler wo heute das Studio Halbelf stattfinden wird. Unsere Camps an Bootsstegen und unter Brücken werden ersetzt durch einen weiss gedeckten Gartentisch zwischen den Bäumen und Skulpturen die hier seit langem wachsen, willkommener Kontrast und warmes Willkommen für unsere ruhige, wilde Truppe.

Mit leiser Geste von Planet zu Planet.

Ein Fest der Sinne.

Fotos: Florian Heilmann

Ich bin zu nervös…

Auf unserem Festival der leisen Gesten führe ich le Predator auf, ein weiches, verformbares Theaterstück, das sich je nach Anlass in kleine Häppchen zerlegen kann, mehr Musik oder mehr Worte enthalten kann, mehr Körpersprache oder Artistik, oder von den Gesprächen mit den Leuten leben kann die rund um das eigentliche Theater entstehen. Je nach der Situation entwickelt sich ein eigenes Tempo, eine eigene Dynamik der Darbietung, die viel Platz für Improvisation lässt, aber viel Aufregung in meinem Kopf auslöst…

Ich bin auf dem Wochenmarkt im Brandenburgischen Viertel, Helle Stunde mit Kultur, und zum ersten Mal in der jungen Geschichte dieses kleinen Projekts habe ich die Gelegenheit eine gute Stunde durchzuspielen, vor Publikum das zwischen den Marktständen sitzt und immer wieder um ein paar Köpfe hier und da ergänzt wird die einen Teil sehen und sich dann wieder ihrem Einkauf zuwenden. Als ich meine Sachen hinterher wieder packe, sprechen mich zwei junge Männer an, anscheinend hat der Eine dem Anderen erzählt was er bei meinem Stück zu sehen bekommen hat. Und ich muss feststellen dass mehrere Menschen mein ganzes Stück aufmerksam angesehen haben ohne dass ich sie bemerkt habe…


Das hat zwei Gründe.
Zum Einen bin ich zu nervös, noch zu aufgeregt von der neuen, noch fremden Arbeit. Davon sind die Sinne beeinträchtigt, meine ganze Wahrnehmung in diesen Momenten zu fahrig, noch zu viel mit sich selbst beschäftigt um frei um sich blicken zu können.
Und zum Anderen ist der betroffene junge Mann, so wie (anscheinend) eine ganze Gruppe Menschen, hinter mir geblieben, hat sich das Theaterstück von hinten angesehen. Hat dann seinem Freund begeistert davon erzählt, scheint ihm also gefallen zu haben, ist aber hinten geblieben, auf einer Bank in sicherem Abstand. Schüchternheit steckt in diesem Verhalten, sicher, Vorsicht auch, man weiss ja nie was so ein Gaukler mit dem Publikum das ihm zu nahe kommt noch alles anstellen könnte. Aber auch, und das höre ich auch aus Gesprächen rund um diese Morgenvorstellung, eine weit verbreitete Überzeugung nicht in der Zielgruppe von Kunst zu sein. Nicht gemeint zu sein wenn die Kultur in den öffentlichen Raum gebracht wird.

Ich bin froh und dankbar die Gelegenheit bekommen zu haben eine kleine Neugier zu wecken, es ist eines dieser Gefühle für die ich mich für die Arbeit im öffentlichen Raum entschieden habe, und ich bin erleichtert den Neugierigen sagen zu können dass das kein Strohfeuer war. Dass sie mit dieser neu entstandenen Neugier an einem anderen Wochenmarkt wieder auf Udo und seine Helle Stunde treffen werden. Zuverlässigkeit die ich nicht anbieten kann, aber ich bin froh ein Teil davon sein zu können.

 

Wir sind einige schöne Tage lang, immer wieder zu Gast bei Gudrun Sailer, entdecken ihren Garten und ihre Ateliers und unsere grosse Neugier an den Arbeiten des jeweils Anderen. An den Überlegungen die dieser Arbeit zugrunde liegen, an unseren Lebensgeschichten die uns dazu gebracht haben diese Arbeit zu suchen und den Ausdruck innerer Zustände der damit einhergeht. So unterschiedlich es auch sein mag, mit schwernasser Tonerde im Atelier zu formen oder mit schweissnasser Haut Körpertheater auf der Strasse zu spielen, wir entdecken viele Parallelen in unseren Lebensgeschichten und Intentionen, und ich bin dankbar als sie uns eine Tonplatte zur Bearbeitung überlässt und wir unsere Hände in diese Materie tauchen können um darin zu suchen. Wie viel Zeit vergeht weiss ich nicht, aber unsere kleine Gruppe ist ganz versunken in dieser Berührung, zwölf Hände graben sich durch die Lehmschicht zueinanderhin und wieder auseinander und die sinnliche Erfahrung aus unseren einzelnen Bewegungen eine grosse zu machen spiegelt sich mit unserer Reise und unserer Arbeit.

Schön ist es diese Gruppe auf diese Art noch einmal wahrnehmen zu können, denn es stehen wieder Abschiede an, Abschied von Gudrun die auf ihre Art Teil dieses Abenteuers geworden ist und auch lange Abende mit uns am Steg verbracht hat, und Abschiede in unserer Reisegruppe, die nun ein paar Tage ganz klein ist, bevor neue Kollegen dazustossen.

Auch daran muss ich denken während ich in den Nächten die Sternschnuppen beobachte die in diesen Augustnächten reichlich und hell durch den Himmel schiessen. Kurze Begleiter unseres Weges, und vielleicht neige ich ja zu Melancholie, Nostalgie und Pathos, aber sie gefallen mir so gut dass ich mich gerne mit ihnen vergleiche und in ihnen erkenne.

Alles dauert nur einen Moment.

Dann ists wieder anders.

Ich freue mich darauf.

Fotos: Torsten Stapel

Der Stuhl wackelt.

Schlimmer, seine Füsse versinken im Boden. Auf eine ziemlich unvorhersehbare Art. Das könnte schnell zu einem kleinen Problem werden, denn ich stehe auf dem Stuhl, habe ein Mikrofon in der Hand und versuche trotzdem überzeugend zu singen. Ich bin im zauberhaften Obstgarten des Triangel Camping in Niederfinow und vor mir sitzen im Abenddunkel eine Menge Zuschauer, ich bin mitten in der Show und denke doch darüber nach, dass der Sandboden hier, mit seiner prekären Stabilität, eine ziemlich überzeugende Allegorie für unsere ganze Tournee ist.

Ja, es hält. Meistens. Die kleinen Probleme, die sehr plötzlich auftauchen, sind jedes Mal eine kleine Überraschung, auch wenn sie natürlich da auftreten wo die grösste Belastung ist. Man ist kurz aus dem Gleichgewicht gebracht, bis jetzt hat es sich aber jedes Mal wieder gefangen. Der weiche Boden, den uns die Unterstützung von Udo und seinem Team bietet, fängt die Stösse leicht ab. Die Begegnung mit den Leuten am Kanal ist warm und locker.

Fast möchte man Wurzeln schlagen…

Unter den Obstbäumen streift auch Sara Hasenbrink über den Campingplatz und spielt ihr Close-up Theater für kleine Gruppen Zeltgäste, heute Nachmittag hat Marion Noelle eine Feldenkrais Stunde angeboten, Inka Arlt ist angekommen und hat ihr Glückstück mitgebracht, und ich packe wieder ein paar Tierchen aus. Nach unserem kurzen Moment mit minimaler Belegschaft sind nun wieder neue Kollegen zu uns gestossen und wir entdecken selbst ganz neu welche Angebote unser Festival der leisen Gesten jetzt machen kann.

Wieder scheint es einen Nerv zu treffen, die Stimmung ist wunderschön, und Sibil vom Zeltplatzteam sagt in ein paar warmen Worten dass sie schon lange Lust hatte Kulturangebote machen zu können, und es nun endlich geklappt hat. Ich erinnere mich an ein lange zurückliegendes Gespräch mit dem Direktor meiner Zirkusausbildung, in dem ich das erste Mal den Wunsch formuliert habe, meine Arbeit an Orte zu bringen die nicht überschwemmt sind mit Kultur und Spektakel. Die Lust, den Rahmen jedes Mal neu zu definieren, in dem der Austausch mit dem Publikum stattfinden wird.

Rahmen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und nicht mit allen Eigenheiten hätte ich gerechnet. Nachdem ich im Brandenburgischen Viertel ganz einfach den Kontakt mit den Anwohnern erleben konnte, nachdem wir am Treidelweg in und um Eberswalde in tausend spontane Gespräche verwickelt wurden, wundern wir uns über die fast ausweichenden Blicke bei flüchtigen Begrüssungen hier. Ich suche eine Erklärung in der Selbstsicherheit der Leute, die uns an ihrem eigenen Ort entdecken und ihrer Neugier freien Lauf lassen, im Gegensatz zu den Urlaubsgästen, die womöglich aus der Stadt kommen und nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf uns zugehen können.

Es ist schön den Kontakt durch unsere Arbeit herstellen zu können, und es ist schön nicht sofort wieder verschwinden zu müssen, wir geniessen es hier zu Gast zu sein, kommen nun ins Gespräch, und Marion hat den Leuten eine weitere Stunde Feldenkrais im Gras unter den Obstbäumen versprechen müssen.

Derweil geniesse ich die Landschaft, die ebenso unmerklich, und fast überraschend, gewechselt hat wie ihre menschlichen und tierischen Bewohner. Am Morgen höre ich dem Konzert der Kraniche zu, die auf den offenen Feuchtwiesen tanzen und von Zeit zu Zeit über uns schweben. Während wir flussaufwärts dem ein oder anderen Biber oder Eisvogel begegnet sind gibt es hier nun auf einmal jede Menge Frösche die abends im Ufergrass quaken. Ganz im Westen, über den Bäumen am Horizont kann ich noch den grossen Kran ausmachen, der die Position an den Familiengärten markiert an der wir vor einer gefühlten Ewigkeit unsere Reise begonnen haben, sein rotes Positionslicht blinkt in der Nacht, während wir sozusagen in Sichtweite in einer anderen Welt sind, und uns wohl auch selbst verändert haben.

Eine Weltreise. Eine Weltenreise. Ein Katzensprung.

Fotos: Torsten Stapel

Der Westwind schüttelt die Boote und die Planen flattern im Wind, ich habe kein Fenster nach draussen, aber das Zelt ist vom wechselnden Licht manchmal im Halbdunkel, manchmal hell erleuchtet. Unter mir gluckert der Kanal und manchmal platscht es richtig wenn der Wind mein Boot in den Leinen schüttelt.

Ein Pausentag, sozusagen. Wir haben nicht besonders viel zu tun oder zu regeln heute, um so besser, nachdem wir uns gestern ein bisschen verausgabt haben. Wir haben dem Schiffshebewerk Niederfinow einen Besuch abgestattet der uns mehr Kraft gekostet hat als wir dachten.  

Mit drei Booten sind wir den Finowkanal bis zu seinem Ende gefahren, auch das war schon eine neue Erfahrung, weil die letzten Kilometer geradeaus durch flache Heide, im steifen Westwind nicht einfach waren, ein Teil an meinem Fussantrieb ist gebrochen und die notdürftige Reparatur klappert nun bei jedem Tritt und lässt einen Teil der Kraft ins Leere laufen. Die Wasserpflanzen die sich reichlich und schön in der Strömung wiegen, hängen auch oft und viel in meinen Rudern fest und bremsen die Fahrt zusätzlich.

Schon an der Schleuse Liepe wird uns klar dass die Zeit nicht reichen wird um wie geplant mit dem Hebewerk eine Runde Aufzug zu spielen. Als wir dann vom Finowkanal in die grosse Wasserstrasse einbiegen, und gegen den Wind Kurs auf das Stahlungetüm nehmen, sehe ich unsere Boote zum ersten Mal wie kleine Nussschalen auf offener Fläche treiben, und ich tue mich schwer überhaupt zum Anlieger zu kommen der die Wartestelle für die Einfahrt in den Bauch der Maschine markiert.

Einige grosse Sportboote stehen schon Schlange und sind sichtlich nicht begeistert von unserem Auftauchen, und die Gefahr zu spät zur Schleuse zu kommen nimmt uns die Entscheidung schnell ab. Wir drehen bei und schleusen uns zurück in Sicherheit.

Wir besuchen das Hebewerk zu Fuss. Ein Gefühl beschleicht mich beim Betrachten der riesigen Gegengewichte. Ein Gefühl dass beim Erbauen einer solchen Struktur der Gedanke vorherrscht dass diese Grösse nicht übertroffen werden wird. Dass schon so gigantisch gedacht wurde dass man meinte damit alle Bedürfnisse der Zukunft schon zu bedienen. Das Ausmass der kreativen Energie die nötig ist um sich diese Maschine auszudenken, die buchstäblich Berge versetzt, ist deutlich zu spüren.

Nun stehe ich da und sehe durch die Masse der ordentlich unübersichtlichen Stahlträger hindurch die glatten Betonfüsse des neuen Hebewerkes. Ich muss an die Weltrekorde vom letzten Jahr denken, die Georgs Tochter im Internet bestaunt, und in deren Präsentation schon steht, seitdem übertroffen…

Der Rückweg nach Niederfinow ist gegen den Wind nochmal deutlich anstrengender, und wir sind glückliches geschafft zu haben, und die Boote sicher angebunden zu haben, bevor uns Wind und Regen in unsere Zelte treiben.

Glück mit dem Wetter merkt man am besten, wenn man gerade noch Zeit hat sich vorzubereiten und nur leicht angefeuchtet unter einer Plane sitzt die einem die Tonspur des nasskalten Wetters wie eine Verstärkermembran hörbar macht.

Schon verschwinden die schwülheissen Sommertage am Campingplatz in der Erinnerungskiste, farbenfroh eingepackt in einen wunderschönen Abschied, zu dem sich viele Gäste und ein Akkordeon auf dem Deich eingefunden haben. Erstaunlicher und erfreulicher hätte der Gegensatz zu unserer Ankunft nicht sein können, und ich war sehr berührt von dieser Geste. Pünktlich haben wir abgelegt und sind in Richtung Schleuse davongetreten.

Dass wir nach 50 Metern wieder anhalten mussten um auf die Schleusung zu warten war in diesem festlichen Verabschiedungsakt geradezu perfekt inszenierte Komik…

Nun liegen unsere Boote dichtgedrängt in Niederfinow, und als gestern Abend das graue Abendlicht im Regen die Farben verblassen lässt, entsteht ein Eindruck von einem kleinen Weiler der den Häuschen am Kanal auf einmal ähnelt. Unaufdringlich und bescheiden zwischen den Uferweiden. Ein Anblick der in mir das Gefühl auslöst am richtigen Ort zu sein, wie eingebunden in diese Ufergemeinschaft.

Natürlich kommt dieses Gefühl auch davon dass wir unsere nächsten Gastgeber gerade kennengelernt haben. Wir haben sogar schon das erste Abenteuer zusammen bestanden, beim Einrichten eines provisorischen Steges an ihrem Grundstück.

Gemeinsam sind wir nass und dreckig geworden und haben es nicht geschafft den Schlick am Grund zu vermeiden in dem ich neulich den ersten Blutegelbesuch meines Lebens bekommen habe. Noch so ein Raubtier, wer weiss, vielleicht wird ja eine Nummer für meine Show daraus, für zukünftige Auftritte, in denen dann unsere ganze auf der Finowreise gesammelte Erfahrung einfliessen wird.

Ich merke deutlich, die letzte Woche ist angebrochen und bringt ihre eigene Stimmung mit. Ihre eigene Herausforderung, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren während man schon das Bald und das Danach im Blick haben muss.

Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

Aber man kann es jedes Mal geniessen.

Vor ein paar Tagen wollte ich wieder Reisebuch schreiben, habe Zeit gefunden mich hinzusetzen, saß da und wusste nicht wie ich anfangen soll. Das war mir bis dahin noch nicht wirklich passiert, und ich habe eine Weile gebraucht um zu verstehen woher diese kleine Schreibblockade kam. Ich hatte Angst mich zu wiederholen.

Ich hatte das erste Mal das Gefühl die Situationen und die Gefühle die ich beschreiben wollte, hatte ich nicht das erste Mal auf dieser Tour. Na gut, dachte ich, vielleicht ist das ja der richtige Moment, wenn ich jetzt dieses Gefühl habe, dann ists ja nur folgerichtig wenn die Tournee jetzt bald vorbei ist.

Aber alles ist so verändert.

Auch wenn die Tage jetzt natürlich denen ähneln die ich zu Beginn unserer Reise beschrieben habe. Wie könnte es anders sein, seit drei Wochen bin ich mit den Booten und den Auftritten beschäftigt, Parallelen tauchen auf, zum Glück, das heißt zuallererst dass meine neu gesammelten Erfahrungen mir schon jetzt gute Dienste leisten können.

Gleichzeitig ist nichts gleich geblieben, es ist keine Wiederholung, es ist ein neues Erleben. 

Das Fahren ist nicht mehr das Gleiche. Es ist fast schwierig, diese beeindruckte Ehrfurcht wiederzufinden, mit denen ich den Booten auf dem Kanal das erste Mal gegenüberstand. Ich fühle mich nicht mehr überfordert vom approximativen Fahrverhalten meines Bootes. Kann ich wirklich auf einmal so gut fahren? Oder habe ich mich nur daran gewöhnt, dass es sich so verhält wie es sich eben verhält. Habe ich gelernt die erforderlichen Schritte einzuschätzen die das Boot so gegen die Strömung lenken, dass es sich von selbst an den Anleger schiebt und in die gewünschte Position schwenkt, weil ich ein Seil anbinde und den Rest des Bootes darum kreisen lasse? Oder habe ich mich nur daran gewöhnt dass es nie genauso funktioniert wie ich es mir ausgedacht habe, und vertraue jetzt auf die Weichheit des Wassers und der Bewegung schwimmender Objekte?

Ich weiß es nicht.

Auch das Wohnen und Schlafen auf den Booten fühlt sich richtig und einfach an. Ich muss nicht mehr überlegen wenn ich den Antrieb zusammensetze, ich muss mir das Zelt nicht mehr neu ausdenken um es über sein Gestell zu entfalten und für die Nacht einzurichten.

Ist das weniger Worte wert? Weniger Zeilen in diesem Tagebuch? Ich weiss es nicht.

Aber der Eindruck in mir ist stark. der Eindruck Weg zurückgelegt zu haben. Nicht Kilometer. Einen Weg gegangen zu sein.

Georg und ich müssen zu den Fahrzeugen die in den Familiengärten stehen. Wir fahren die baumbestandene Einfahrt entlang und halten beide kurz die Luft an, weil wir beide den starken Gegensatz bemerken, zwischen der Zeit die rasend schnell vergangen ist seit wir unsere Reise angetreten haben, und der Ewigkeit die zwischen uns und unserer ersten Ankunft hier zu liegen scheint. Als wäre das schon ewig her…

Schwer einzuschätzen.

Viel einfacher ist es da, bei dem Nachbarschaftsfest anzukommen bei dem wir unsere Stücke spielen. Wir treten in einen Garten am Kanal ein, die Kinder sind nett und neugierig, die Erwachsenen sind mit den Vorbereitungen beschäftigt, mitten in der Woche werden sich ein paar Familien zusammenfinden und unsere Anwesenheit zum Anlass für einen kleinen festlichen Abend nehmen.

Schon nach wenigen Minuten sind wir einfach da und ich wundere mich nicht mal über die Einfachheit das Ankommens hier. Als die ersten Gäste eintreffen sind wir schon ein Teil des Abends, ein Teil des Gartens und richten unsere Spielorte in verschiedenen Winkeln des großen Gartens ein. Sogar Etta, die erst jetzt, nach ein paar Tagen Abwesenheit von der Tournee wiederkommt, findend sofort ihren Platz, fühlt sich ohne Eingewöhnungszeit ebenso willkommen wie wir.

Ein kleiner Kreis aus Nachbarn und Freunden findet sich ein und nach dem Abendessen spazieren sie durch den Garten und machen Station vor den kleinen Shows, die wir ihnen anbieten. Ich bin berührt davon, wie froh ich mich fühle ins zuhause wildfremder Leute eingeladen zu werden und ihre Aufmerksamkeit zu empfangen wie ein Geschenk, und ich bin noch glücklicher als einer unserer Gastgeber an Schluss ein paar Worte sagt und  seine eigene Freude zum Ausdruck bringt, sein Gefühl ein Geschenk von uns erhalten zu haben.

Nur zwei Tage später habe ich die Gelegenheit in einem weiteren Garten meine Raubtiere zu spielen, ein Zirkuswochenende beginnt mit vierzig Kindern, und wieder tauche ich ein in eine ganz andere Welt, wieder kann ich mit meinem Stück in die Augen anderer Leute eintauchen. Ehrlich gesagt rede ich so viel davon weil ich mich so freue dieses neue Stück zu entdecken, die Möglichkeiten die sich mir bieten jeweils neue Stimmungen aufzunehmen und zu verarbeiten. In diesem dunklen, wilden Garten mit den Kinderaugen vor mir entsteht ein völlig anderes Stück als auf dem Marktplatz im Sonnenschein. Stimmungen die ich nicht planen kann, die ich nicht vorhersehen kann, Stimmungen in die ich eintauche und aus denen ich meine Aufführung erst forme.

Und wieder sinkt die Sonne über einem schönen Garten in dem ich zu Gast bin, wieder fühle ich die Großzügigkeit dieses Projekts das es mir ermöglicht über meine Kunst in einen so angenehmen Austausch mit den Leuten zu treten die uns ihre Türen öffnen.

Und ich trete gerne ein.

Festival der leisen Geste – ein vorläufiger Abschluss…

Wir biegen in Finow vom Kanal ab, in das kleine Becken mit den Anlegern und der Rampe zum Auswassern der Boote. Während wir die Teufelsbrücke durchfahren, die mit ihren Stahlaugen das Leben am Wasser und am Ufer überwacht, fallen die ersten Regentropfen und lassen ihre kleinen Kreise im stillen Wasser aufblitzen. Georg und ich müssen lachen beim Einfahren, während unsere Boote an den Steg unter die Erlen gleiten fällt eine Spannung von uns ab, und als es zwei Minuten später regnet sind die Boote schon unter ihren Zeltplanen geschützt.

Die Erleichterung ist tatsächlich enorm, weil wir in den vergangenen 24 Stunden all die Kilometer Kanal wieder abgefahren sind die wir in den drei Wochen Tournee kennenlernen durften. Weil uns Regen den ganzen Tag angekündigt wurde, und wir es nun doch geschafft haben in diesen sicheren Hafen einzulaufen ohne nass geworden zu sein. Weil wir trotz der neuesten technischen Probleme, trotz unserer Zweifel, trotz der Unterbesetzung der Boote und unserer Müdigkeit eine weitere große Etappe geschafft haben.

Die ganze Fahrt, diese ganzen Tage und kleinen Etappen, jeden Zwischenhalt den wir gemacht haben um am Ufer und im Umland etwas zu erleben, wir konnten sie alle in dieser letzten Fahrt Revue passieren lassen und ein bisschen wiedererleben.

Aufgebrochen sind wir diesmal nach dem Guten Morgen Eberswalde am Barnimer Brauhaus. Wir haben uns ein letztes Mal alle getroffen. Georg und ich, mit Etta und Inka, mit Udo und seiner Crew, und tatsächlich mit sehr viel Publikum, darunter auch ganz viele Zuschauer die wir in diesen drei Wochen schon kennenlernen konnten. Leute die wiederkommen, und wieder mit ihrer Aufmerksamkeit unsere verschiedenen Räume und Ecken ausleuchten. Eine kleine Reise an sich. Zwischen dem Bahnhof Niederfinow mit seiner alten Panzerverladerampe, und der Brauerei gegenüber mit ihrem kleinen Hof und ihren lauschigen Gärten, liegen Welten. Welten die gefüllt sind mit Gesprächen, Zusammentreffen und Neugier.

Wir müssen los, wir müssen auf die Boote. Wir müssen uns auf den Kanal, auf den Weg, machen. Und schaffen es fast nicht uns loszureißen von dem Austausch der entstanden ist, der auf immer mehr geteilter Erfahrung aufbauen kann.

Auch am Anleger sind noch Leute, und das ist ein Glück, denn einige von ihnen kommen mit uns um zu versuchen uns zu helfen gegen die leichte Strömung anzutreten. Um uns zu helfen unter der Kippbrücke durchzukommen, die ein klein wenig zu niedrig für uns ist und sich doch nicht zum erhofften Zeitpunkt öffnet. Und einfach um zu winken.

Wir sind ein bisschen eingelassen worden. Wir konnten ein bisschen ankommen. Wir haben versucht unsere Augen zu öffnen und unsere Umgebung zu sehen. Wir haben uns darauf eingelassen. 

Wir haben die Gelegenheit genutzt um etwas zu zeigen. Uns zu zeigen. Das was wir tun und die Art wie wir leben. Unsere Fortbewegung, unsere Behausung, unsere Küchen, wurden ebenso wahrgenommen wie unsere Auftritte, unsere Kunst und unsere Lebensgeschichte die zu dem führt was wir hier machen. Ganz sicher haben wir aber auch etwas ganz anderes gezeigt. Sichtbar wird das auf ganz deutliche Art und Weise, als uns klar wird, dass alle die uns nun auf den paar Kilometern Kanal begleiten, in all den Jahren die sie nun an seinem Ufer wohnen, noch nie auf ihm gefahren sind.

-Da müsst erst ihr aus aller Herren Länder kommen, damit ich endlich mal schleuse…

-Ach so. Stimmt. Wir wollten Euch ja auch Eure Umgebung neu zeigen. Wir wollten Euch ja eine andere Perspektive geben. Wir wollten Euch ja Eure Welt neu entdecken lassen. Zumindest wollten wir es versuchen…

Manchmal erreicht man Ziele die man sich vorgenommen hat, von denen einem aber gar nicht klar war wie sie aussehen würden. Vielleicht ist das dann ein Abenteuer?

Als dann am nächsten Abend keine Boote mehr im Wasser liegen, weil wir vier Mal mit dem Hänger hineingegriffen haben wie mit einer Schöpfkelle, weil wir wieder in Einzelteile zerlegt haben, was uns drei Wochen lang als Haus, Werkstatt und Fahrzeug gedient hat, weil wir einsortiert haben was wir scheinbar nachlässig aufgefächert hatten, als dann die Sonne untergeht über dem leeren Becken und uns die Teufelsbrücke nochmal zuzwinkert, da erinnert mich diese Fahrt doch sehr an die Zirkuszelte und die Festivals die ich abgebaut habe, und die einen leeren Platz hinterlassen, wo eben noch ein kleines Theater, eine kleine Stadt gelebt hatten. Leicht fühlt es sich an, einfach, spielerisch. Eine Welt entstehen zu lassen in der Menschen sich treffen können, in der wir uns kennenlernen durften, und wachsen konnten an dem gemeinsamen Erleben.

Das Wasser kräuselt sich im leichten Wind und ich kneife die Augenlider zusammen gegen das gleißende Licht. Aber hinter mir, an den Ziegeln der alten Fabriken, an den Blättern der alten Bäume, da tanzen die Projektionen und Reflektionen der kleinen Wellen und ihr Schauspiel blendet nicht. Es macht kein Geräusch, es drängt sich nicht auf. Spuren einer Bewegung, lesbar an jeder Oberfläche.

Vielleicht kann man auch unsere Spuren noch lesen wenn wir schon weg sind, leise, unscheinbar, flüchtig wie der Windhauch auf dem Kanal.

Und vielleicht sind wir ja gar nicht weg…

Ich schwanke…

Gerne…

Danke, Julian…

Mitgewirkt haben außer Udo Muszynski und seinem Team noch unzählbar viele Personen, noch mehr Hände, Füße, Augen und Ohren. Danke.

Mitgefahren sind Georg Traber, Julian Bellini, Etta Streicher, Benoît Vivien und Myrtille Harris, Béatrice Graf, Inka Arlt, Sara Hasenbrink und Marion Noëlle, sowie Lilo, Lilou, Pimprenelle, Ole und Alfons

www.traberproduktion.ch

http://lebellini.blogspot.com/

https://ettastreicher.wordpress.com/

https://cievoilalenchantement.wordpress.com/

www.beatricegraf.ch

www.inkaarlt.de

www.hasenbrink.org

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Mit freundlicher Unterstützung des Institut francais

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