Mittwoch, 30. August 2023
Im Zug, aber mit Blick auf einen anderen Kanal
Boote IV
Die Hubbrücke bei den Familiengärten ist jedes Jahr eine kleine Herausforderung für uns, wir haben nie die Geduld auf ihren Hub zu warten, außerdem wollen wir nicht die Straße für unsere Durchfahrt blockieren, zwanzig Minuten Straße zu für eine Minute Durchfahrt fühlt sich einfach ein bisschen unverhältnismäßig an. Außerdem können wir an zwei Booten das Dach in wenigen Handgriffen flachlegen um unter der Brücke durchzukommen, leider dauert es an den zwei anderen Booten länger, und ist auch nicht so praktisch. Und weil das dann immer ein etwas komplizierter Moment ist, bei dem ich dann schlussendlich auch ein wichtiges Teil verloren habe (siehe Boote I), kann man dann auch immer was vergessen, und so vergisst Georg bei der ersten Durchfahrt ein Teil abzunehmen das so an den
Brückenbalken stößt und sich verbiegt. Naja, das Boot funktioniert auch so, und tagelang unternimmt er nichts um das Teil zu reparieren. Aber es wackelt immer mehr, aber wie das manchmal so ist, man hat etwas zu tun, aber wenn man Zeit hat, denkt man nicht daran und wenn man daran denkt, hat man keine Zeit. In dem Fall denkt man daran beim Fahren, aber da hat man keine Zeit, außer man nutzt eine Schleusenfahrt, sozusagen eine kurze Pause, wo Georg kurz die Hände frei haben kann, während Anita die Seile hält, und so, mindestens zwei Wochen später, nutzt er die Zeit während das Schleusentor sich schon schließt, um sich das verbogene Teil vorzunehmen, ein bisschen sind wir schon abgesunken, das Teil ist auseinandergenommen, Wasser gluckert und rauscht in den Kanal unter der Schleuse, ein Stück gesplittertes Holz wird abgesägt, unsere Köpfe sind schon niedriger als die Mauer des Schleusenbeckens,
eine neue Schraube wird eingesetzt, am Wasserstand in der Schleuse lese ich ab wie viel Zeit ihm noch bleibt, bevor er mit seiner Reparatur fertig sein muss, und alles wird wieder solide zusammengehämmert, ein mindestens ungewohntes Geräusch in dieser Umgebung, bekannt eher von einer Schneiderwerkstatt als einer Flussfahrt, und tatsächlich räumt er sein Werkzeug auf, während langsam das erste Schleusentor aufgeht. Zufrieden packt er seine Säge und seinen Hammer wieder ein, fegt noch kurz die Holzspäne ins Wasser, und sein Boot legt wieder ab und gleitet aus der Schleuse…
Tiere IV
Mein Boot liegt im Schilf, ich habe wieder den kleinen Steg angelegt, der mir hilft, trockenen Fußes ins Boot zu steigen. Jedes Mal, wenn ich in die Nähe des Stegs komme, plätschert Wasser links und rechts davon im Schilf und erst verstehe ich gar nicht recht warum. Nachdem es tagelang kalt und nass war, scheint heute mal wieder ein bisschen die Sonne, und irgendwann merke ich, was da passiert. Die Frösche klettern aus dem Schilf ins kurze Gras um sich zu sonnen, und jedes Mal, wenn ich in die Nähe komme, springen sie
erschrocken zurück ins kühle Nass.
Ich frage mich, ob auf den zwei Metern neben meinem Steg die Frösche jetzt einen signifikanten Nachteil haben, vielleicht funktioniert ja wegen den unterbrochenen Sonnenmomenten ihr Immunsystem schlechter als wenn ich nicht hier angelegt hätte, oder ihre Fortpflanzung ist von der niedrigeren Durchschnittstemperatur in ihren kleinen wechselwarmen Körpern in Mitleidenschaft gezogen. Bin ich jetzt ein evolutionärer Nachteil für meine Nachbarn, die mir ja eigentlich am Herzen liegen, bin ich schuld, dass sie in dem knallharten Überlebenswettbewerb mit ihren konkurrierenden Froschfamilien, einige Meter weiter im selben Schilf, jetzt ein spürbares Handicap haben? Jedenfalls überlege ich jetzt zweimal ob ich wirklich in mein Boot muss, oder ob ich die Frösche lieber in Ruhe lasse…
Tiere V
Wir fahren seit fast einer Stunde, wir müssen schließlich heute noch ein paar Schleusen hinter uns bringen und ich trete mein Boot in einem soliden Reiserhythmus durch den Wald unterhalb der Schleuse Ragöse. Als das Schleusentor in Sichtweite gerät, muss ich kurz
aufstehen und die Fender raushängen, die mein Boot davor bewahren sich an der Schleusenwand wundzureiben.
Wenige Handspannen hinter dem Heck meines Bootes sehe ich etwas Seltsames, ein Faden hängt an einer Zeltstange und zieht etwas kleines im Wasser mit. Eine kleine V- förmige Welle hat sich geformt und ich verstehe, sehe nach, was da Winziges festhängt, und
warum. Ich weiß nicht, ob ich schon mal darüber geschrieben habe, wie schnell sich eine beeindruckende Spinnenbevölkerung in unseren Booten breitmacht, und ich wundere mich jedes Mal, wie das so schnell solche Ausmaße annehmen kann, und was die Spinnen davon halten, jeden Tag woanders hingeschippert zu werden, jeden Tag in die Zeltplane eingerollt zu werden oder in Kisten verpackt zu sein.
Diese Spinne ist entweder überrascht worden, oder sie hat beschlossen, dass heute ein guter Tag ist, um Wasserskifahren zu lernen… Seit einer Stunde hängt sie an ihrem Faden im Wasser und lässt sich von meinem Boot mitziehen… Ich ziehe sie vorsichtig am Faden
wieder ins Boot und setze sie an die Zeltstange, eine kleine Bitte um Entschuldigung formt sich in meinem Geist, auch wenn ich keine Ahnung habe wie Spinnen mit diesem Erlebnis zurechtkommen, aber sie entfaltet doch recht schnell ihre Beine und sieht von dieser
Erfahrung recht unbeeindruckt aus…
Ich bin insgeheim ein bisschen beruhigt, schließlich muss ich noch ein paar Nächte in meinem Zelt verbringen und es ist immer besser wenn die Mitbewohner nicht sauer auf einen sind…
Tiere VI
Ich gebe zu, ich hätte ein bisschen besser aufräumen können. Die Sachen liegen etwas unsortiert im Gras, ein paar Stühle stehen in einem Grüppchen, dazu ein bisschen Kaffeegeschirr, dann ein bisschen freier Platz, dann wieder ein paar Küchensachen, das
Besteck in seiner Kiste, dann eine kleine Kiste mit Olivenöl und Essig und Gewürzen, dann
wieder Stühle und einer unserer Öfen…
Die Frau ist mit ihrem Hund schon an unserem kleinen Camp vorbeigekommen, ich habe versucht sie herzlich zu begrüßen, ihre etwas verschlossene Antwort liegt bestimmt nicht in Unhöflichkeit begründet, sondern in starker und offensichtlicher Schüchternheit. Ihr Hund ist groß und etwas eigensinnig, schon am Hinweg hat er versucht sich loszueisen und unsere Sachen zu erforschen, jetzt sind sie beide auf dem Rückweg und ich habe es versäumt in der Zwischenzeit aufzuräumen. Sie ist wohl ein bisschen abgelenkt und ihr vierbeiniger
Begleiter hat es geschafft in seinem entspannt trottenden Gang ihrer Aufmerksamkeit zu entfliehen und er ist mir nichts dir nichts auf meiner Seite unseres kleinen verstreuten Küchenhaufens gelandet. Um auf keinen Fall über unsere Sachen zu steigen, nicht mal
zwischen ihnen durchzugehen, muss sie ein paar Schritte zurückgehen, als ob jede Tasse im Gras ein hoher Zaun wäre, durch den man zwar hindurchsieht, den man aber nicht überqueren kann. Ich bin beeindruckt von ihrer Umsicht und gleichzeitig ein bisschen
gelähmt von ihrer Schüchternheit. Sie nimmt ihren Hund am Halsband und dreht vorsichtig bei, um wirklich keine unserer Sachen zu berühren, sie hält kurz inne, ich weiß nicht wie ich ihr den Weg einfacher machen kann, sie hat mich nicht angesehen, ich habe Angst sie noch mehr zu erschrecken, wenn ich es mit Ansprechen versuche, sie geht die paar Schritte wieder zurück die ihr erlauben, unser Camp ganz zu umrunden.
Als beide wieder auf dem Weg sind und zusammen weitergehen kann ich im Gesicht ihres Hundes ganz klar das zufriedene Grinsen über seinen gelungenen Streich sehen. Er zwinkert mir komplizenhaft zu, aber ich weise jede Mittäterschaft entschieden von mir und
gebe ihm das auch durch meinen missbilligenden Blick zu verstehen.
Unternehmungen III
Jetzt endlich, endlich, im dritten Jahr unserer Tourneen auf diesem schönen Finowkanal, schaffen wir es, uns die Zeit zu nehmen, die es braucht, um mal entspannt Aufzug zu fahren. Wir liegen in Niederfinow und haben extra einen Tag mehr hier eingeplant, um diesen Ausflug unternehmen zu können.
Wieder dieses Gefühl fast auf dem offenen Meer anzukommen als die zwei kleinen Katamarane mit denen wir unterwegs sind, den großen Oder-Havel-Kanal kreuzen, an der Zufahrt zum neuen Hebewerk vorbeifahren und am Warteanleger für das ältere, das stählerne Ungetüm anhalten. „die Tretboote bitte zurückbleiben“… kommt eine Stimme aus dem Lautsprecher, als Georg sein Boot ein bisschen zu weit nach vorne gleiten lässt. Beruhigend, jemand weiß, dass wir da sind, jemand hat uns angesprochen, jemand kümmert sich um uns.
Das bleibt eine ganze Weile auch das Einzige was wir an Aktivität von der Hebewerksseite mitbekommen. Es ist Mittag und die Sonne scheint, Georg liegt auf seinem Boot auf dem Boden und hält einen Mittagsschlaf, Anita strengt sich an, ihn nicht zu wecken. Ursl und ich
beginnen Musik zu machen, gegenüber auf dem Boot sitzend, gewärmt von den Sonnenstrahlen, von denen wir in letzter Zeit sicher nicht zu viele hatten. Der Wind bleibt nett und schaukelt uns nur wenig und ich kann es einfach nicht fassen, was für aufregende
Musik aus den einfachen Akkordfolgen entsteht, die ich improvisieren kann, wenn ich Ursl nur ein paar Zeigerumdrehungen lasse, um darauf Melodien und Stimmungen zu stricken, die mit dem Wind über den Kanal verfliegen, nachdem sie mir den Kopf verdreht haben.
Erst als das Ausflugsschiff sich anschickt, eine weitere Runde mit der Badewanne in den ersten Stock zu fahren, tauchen auch noch ein paar Sportboote und sogar zwei Kajaks auf und wir dürfen endlich in den Bauch dieser himmelsstürmenden Konstruktion gleiten.
Das aus dem Wasser gehobene, tonnenschwere und massive Stahltor des Hebetroges sorgt für einen Tropfenvorhang an der Einfahrt, der der ohnehin beeindruckenden Silhouette dieser Hebekathedrale, ein spielerisches Element hinzufügt. Waren die Einfahrten zu
Geisterbahnen früher nicht auch manchmal mit einem Vorhang aus Wasser ausgestattet?
Das Licht verändert sich schlagartig während man unter dieser triefenden Kontrollbrücke hindurch ins Innere des Ungetüms fährt, und der Eindruck einer Kathedrale ist von innen eher noch stärker. Hier, auf der anderen Seite des Wasserfalls ein eigenes kleines Wunderland, und ich strenge mich an meinen Blick noch kurz auf die Poller und die Seile zu konzentrieren, um das Boot sicher anzubinden, es ist nicht so einfach irgendwo anders hinzusehen als gerade nach oben, mit den Augen den Kabeln folgend, an denen unsere Wanne hängt, das Tor senkt sich schon hinter mir und ein Signal kündigt die Abfahrt an.
Ursl und ich packen unsere Instrumente wieder aus, und während die Kabel sich zitternd spannen und unsere Reise nach oben in Gang bringen fängt ihre Geige die Stimmung ein und singt unsere Aufregung und unsere Anspannung, unsere Erwartung und unsere Freude in den himmelhohen Bauch dieser abenteuerlichen Konstruktion.
Plötzlich öffnet sich der Blick nach Osten. Wie von einem Balkon sehen wir über das Oderbruch immer weiter in Richtung der polnischen Hügel. Derweil zittert sich unser Gefährt nach oben und je mehr ich merke was passiert und beobachte wie die Rollen, Schrauben und Kabel zusammenspielen, desto mehr muss ich mich zurückhalten um nicht auszusteigen und über den Steg in die Streben dieses übertriebenen Krans zu klettern. Ich konzentriere mich auf meine Finger die die paar einfachen Akkorde auf die Gitarre
klopfen, und lasse die Musik für mich diesen offenen abenteuerlichen Raum erforschen.
Gute Entscheidung.
Schließlich sind wir hier oben nur um einmal rauszufahren, zu wenden und wieder ins Hebewerk einzufahren um ein paar Minuten und eine andere Musik später wieder unten zu sein. Der Tropfenvorhang entlässt uns wieder ins Fahrwasser und beseelt von dieser
Erfahrung und vom Wind im Rücken schießen wir regelrecht den großen Kanal Richtung Osten bis zu der Abzweigung des Finowkanals. Fast beruhigend wirkt die vertraute Schleuse jetzt auf mich. Ein bisschen wie Heimkommen. Ein wenig später sieht man das
Hebewerk nochmal über die Wiesen, von außen, von Weitem, und seine Dimension erschließt sich mir immer noch nicht, aber sein Anblick ist jetzt mit dieser Erfahrung verbunden, ein kleiner Schauer links und rechts der Wirbelsäule und Ursls Geige zwischen Maschinengeräuschen.
Gegenstände IV
Jetzt bin ich seit mehreren Tagen wieder zu Hause, die Wäsche ist gewaschen und wieder einsortiert, das Boot liegt auf dem Hänger unter einer leuchtend roten Plane die es davor schützen soll Wasser von der falschen Seite zu bekommen, das große Regal im Proberaum
ist wieder voll mit den Kisten und Bauteilen der Boote, nur das Werkzeug liegt noch verstreut im Hof, ich habe es noch nicht geschafft alles wieder einzuräumen, zwischendurch schon ein bisschen die Fahrräder der Kinder repariert, aber noch fehlt mir die Zeit und die Energie
um die Werkstatt aufzuräumen.
Und dann erreicht mich eine Mail von Ursl, eine sehr erstaunliche Nachricht, aber insgeheim habe ich darauf gehofft. Sie ist wieder in Eberswalde vorbeigekommen und hat einen der Schleuser getroffen, die seit drei Jahren Zeugen und Komplizen unserer Fahrten und Abenteuer sind. Hatte ich nicht am ersten Fahrtag dieses Jahr, also vor einer halben Ewigkeit, eine Zeltstange verloren? Die ich dann durch einen Ahornast ersetzt habe? Na, die Stange ist jetzt bei den Taucharbeiten an der Schleuse wieder aufgetaucht. Ich
bekomm sie also wieder.
…
Schön.
Runde Sache.
Danke Fluss.
Danke Menschen.
Bis zum nächsten Mal …